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Freitag, 17. Juli 2009

Unauflösliche Widersprüche eines marionettenhaften Daseins

Was Baudelaire mit dem Bild des Albatros - der in den Lüften unübertrefflicher Meister, am Boden gelandet oder gar festgehalten jedoch tollpatschig und plump, ja Objekt des Spotts - einfängt, zeigt sich in den Essays von Emerson als mosaikartige Aneinanderreihung von Menschen, Gestalten und Einzelsätzen, ja Aphorismen (die, wenn sie gut sind, bewußte Resignation vor dem großen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Insgesamt der Tiefe sind, von dem nur je ein Zipfelchen zu erhaschen möglich ist.)

Emerson meint, daß die Menschheit nicht von einem einzigen Menschen (es sei denn, er wäre Gott; Anm.) repräsentiert und umfaßt werden könne. Vielmehr würde diese Last einen Einzelnen in Widersprüchen und Spannungen aufgehen lassen.

In jedem Fall übersteigt er das Verstehen der Umwelt.

(Da kommt die heutige Psychologie vonstatten, die selten mehr ist als eine Absicherung des Kleinbürgers, damit ihm seine kontrollierbare Welt der Gewißheiten nicht zerfällt.)

"Der Poet muß sich wohl in jeden hineinfinden können, aber wollte er EINEN solchen geeinten Menschen darstellen, so käme ein Monstrum von Widersprüchen, eine Puppe, der alle möglichen Gewande aufgebunden sind, zum Vorschein." (Emerson)

Es ist eine vielfach zu beobachtende Tatsache, und Jacobsen bringt es in seinem "Niels Lyhne" so großartig zur Darstellung: Dieses Erleben der Nutzlosigkeit des Poeten, der er mit allen Kniffen und Tricks in eine bürgerliche Existenz zu entfliehen sucht. Und scheitert doch ...

Das Scheitern des Poeten in der Welt - es ist wie das Aufbinden von Kostümen auf eine Puppe, die denn doch wie Fetzen herabhängen - und doch ... wahr sind: wie die Fühler des Thermometers.

Aber sie sind nicht seine wahre Identität.

[K erzählte einmal, daß sein Problem, ehe er sich der Kunst widmete, darin bestanden hatte, daß in dem Moment, wo er "als" diese oder jene Figur angesprochen wurde, weil er sie so perfekt nachzubilden versucht hatte - K war in allen seinen Berufen und Existenzversuchen sehr erfolgreich, in jedem Fall weit überdurchschnittlich - war dies nur eine Frage von kurzer Zeit, meist etwa eines halben Jahres, mußte er also dann ausbrechen, alles hinwerfen.

Mit den Jahren wurden die Intervalle seiner Gestaltsaufnahmen wie restlosen -auflösungen immer kürzer, denn die Kraft der Jugend, die Bereitschaft, sich Gewalt anzutun, schwand.

Umso unverständlicher war er der Umwelt geblieben, die ihn in der jeweiligen Existenzgestalt als ausgeschöpft und "genau richtig" erlebt hatten. Dabei hatte er sich dem Neid der Mitmenschen auf besondere Weise ausgeliefert gefühlt: Denn während viele gespürt hatten, daß etwas mit ihm nicht "stimmte", er "seine Flügel am Boden hatte schleifen lassen", war er für andere, für Niedrige - K drückte sich so aus - beliebtes Objekt bösartigen Psychologisierens, einer Erklärung seiner Unfreiheit also, mit dem sein wesentliches Verhalten zur Charakterdeformation, ja: Unmoral, erklärt wurde.

Tatsächlich aber hatte es K damit nie geschafft, eine sogenannte "kontinuierliche" Existenz aufzubauen, auf die normale Menschen in der Mitte ihres Lebens einmal zurückgreifen können. Er stand zu einem Zeitpunkt, wo andere die Früchte ihres bürgerlichen, existentiellen Lebens ernten, erst am Anfang seines eigentlichen Lebens. Und war lange noch versucht, jedenfalls im Ungewissen, ob und wieweit er seine vergangenen Existenzen zum Ausweis seiner Lebensberechtigung hervorkramen und -zeigen sollte. K fehlte selbst in fortgeschrittenem Alter eine Identifikationsmöglichkeit, was die Umwelt zu oft seltsamsten, meist wenig schmeichelhaften Erklärungsmodellen regelrecht herausforderte.
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*170709*