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Donnerstag, 12. November 2009

Den Raum entdecken und damit besitzen

Alles Schreiben, alles Lesen, alles Denken, alles ... Sprechen - es sind tägliche Versuche, nein, sollten solche sein, sich selbst immer mehr auszuloten, sich immer besser kennenzulernen. So sind es auch die Bücher, die Literatur, als geistiger Raum, der ausschreitet und ausschritt, was uns Menschen in Wahrheit bewegt.

Ein Kompendium des Menschseins, oft bis an weite Grenzen vorstoßend, sich dann zerstäubend, aber nie: wurzellos werdend, wie eine falsch verstandene Mystik meint. Denn der Höchstbegriff von Weitenvermessung ist Selbstbesitz, ist Form, nicht Formlosigkeit (wie im Aufgehen im Nirvana des Buddhismus etc.)

So wird jeder Tag zu einer spannenden Entdeckungsreise. Kein Tag sohin, an dem nicht ein Satz, ein Gedanke, eine Erfahrung in der ganzen Weite der Kunst, hereingeholt in die Wohnung durch die Bücher, die Bilder, die Kunstwerke, diese Welt immer weiter macht, immer mehr zur Heimat weil bewohnt macht! Kein Tag, wo nicht weitere Schritte in der Erwanderung des eigenen Inneren gesetzt werden dürfen.

Hippolyte Taine beschreibt sein Lebenselixier "Literatur", Geist, so. Daß es nicht aus einem Trieb der Lebensbehübschung, weil uns ja sonst nichts bleibt, aus Verzweiflung also, wie Kunst ja so gerne mißverstanden wird, zu leben lohnt, sondern so lange die Lust am Leben besteht, wo es geschieht, "Jeden Tag mit ganzer Kraft vorwärts zu dringen; sich bis ans Ende die große Wißbegier zu bewahren; damit zufrieden zu sein, daß man die Welt hat betrachten und erkennen dürfen, und überzeugt zu sein, daß sich das der Mühe des Lebens lohnt."

So definiert sich Kultur als geordnete geistige Weite der Träger eines Volkes, des Volkes selbst, als Bezug von Gestalten, die sich erheben, die wir dann im Setzen bestätigen, und die ein Freisein von Dämonie, von Getriebenheit bedeuten. Weil wir weit geworden sind, mit dem Ziel, alles umfassen zu können, was uns möglich ist.

Das alles zu wissen bewahrt auch vor dem innersten Mißverstehen, Erkenntnis durch das Zuhören, das Lesen, Betrachten eines Kunstwerkes ja ist, wäre eine eigene Leistung. Die eigene Leistung dabei ist lediglich die sittliche Kraft der Aperzeptivität, der Bereitschaft, aufzunehmen, und zu sterben, loszulassen, um überhaupt neu entdecken zu können. Hier bleibt keine Handbreit für Hochmut, weil das Erleben der Demut des Aufnehmens, des Geschenkhaften, als das sich der innere Raum erfährt, zeitlich unmittelbar davorsteht. Dann, zaghaft, vorsichtig, können wir weiter einen Schritt in diesen Raum setzen, der so unermeßlich scheint, und immer weiter als man annimmt, sodaß seine Grenzen uns wohl nie bekannt sein werden.

Was wir da täglich entdecken und als Ureigenstes erleben, sodaß uns das Gelesene, Gesehene, Erkannte gar nicht fremd, sondern immer schon in uns vorhanden erscheint, ist nur unser eigener Innenraum. Den wir mit Würde achten und hochschätzen dürfen, ja müssen, gewiß. Aber fast könnte man sagen, daß unser Platz innerhalb der menschlichen Ordnung und Gesellschaft sich in dem ausspricht, was von diesem allen Menschen Gemeinen (und jeder ist sehr weitgehend alles) jeweils benannt wird: "... auf daß er ihm Namen gebe ..." Das Stuhlhafte für den Tischler, die Haus- und Lebenswelt dem Architekten, das Geistige für den Schriftsteller, den Poeten, den Künstler.

Es ist immer gegeben, nie "erfunden." Und in der Sittlichkeit zur Gestalt befreit. Das läßt uns Mut als Pflicht sehen, in aller Klugheit, in aller Mäßigung.

Schöpferisches wird nämlich gerne mißverstanden, umgekehrt so oft denunziert. Das ist häufig verletzend, bedrückend, dabei geradezu grotesk, weil manchmal jene, die gefundene Form und Gestalt als Beschränkung fluchen, dies nur tun, weil sie die Kraft für Gestalt und Form gar nicht finden. Sich noch dazu aus charakterlicher Beschränktheit, die "discretio" nicht kennt, gar nicht vorstellen können, daß ihre Entschränkung sie nicht auf "neues Terrain", weiter fort, bringt, sondern dem Gestaltwissenden längst überwunden ist.

Weil man Schöpferisches als rein mengenmäßigen Zuwachs sieht, an den Außengrenzen angepackt wie Rucksäcke, weil gar als Erfindung neuer, noch nie dagewesener Qualitäten mißdeutet! Und ist das doch nur ein jenen Unbekanntes - nichts Neues aber. Damit zeigen jene doch nur die innere Gespaltenheit in mehrere unzusammenhängende, gar nie erwanderte Bereiche auf.

Nein, es gibt für uns Menschen Neues nur durch eine neue Kombination in der dritten Dimension unserer Seele, dem definitiven Sein und Wesen der Dinge, der Schöpfung, der Gedanken Gottes: Im Teilnehmen daran, im gnadenhaften Hereinsenken jener.

Schöpfung ist immer Gnade. Das Mißverständnis in der Bewertung eigenen Schaffens (als: originell, als "neu", als Avantgarde) besteht, wo man Häßlichkeit - als Mangel an der Form, als verweigerte Form, meist weil einfach nicht gelungen, oder aus Ungeduld und Größenwahn - als eigene Gestalt vortäuschen möchte.




*121109*