Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 11. November 2009

Was wirklich hinter dem Feminismus steht


In der Lektüre der "Elektra", in der Fassung von Hugo von Hofmannsthal, oder der sophokleischen (Bild: aus der Dessauer Inszenierung nach Hofmannsthal), wird besonders greifbar, wie das Einzelschicksal - und man kann diese Aussage erweitern: JEDES genau beobachtete, wahrhaftig dargestellte, in seine wirklichen Motive entbeinte Einzelschicksal - Träger jener Erkenntnismöglichkeit wird, die als Archetyp nur scheinbar abstrakt das Verhältnis der realen, konkreten, immer so detailreichen Welt ausformt.

Es gibt keine belanglose Welt, nichts in ihr das nicht als Gestalt zumindest Tentakelschlange des Medusenhauptes ist, nichts, daß nicht auf (doch so wenige) prinzipielle Kräfte der Welt zurückzuführen ist. In den Mythen, Sagen, Märchen, werden diese Kräfte sehr weitgehend bereits der Dämonie entrissen, greifbar, wird die Welt bis ins Innerste ausgeleuchtet.

In Elektra rächt die Tochter den von der Mutter und ihrem Geliebten ermordeten Vater. Elektra, die im Grunde auf den Bruder wartet, dann die Schwester dafür gewinnen will, bis sie die Drecksarbeit selbst zu übernehmen bereit ist ... und der Bruder, listenreich, doch noch auftaucht. Dem dann die Knechte, das Haus, nach vollbrachter Tat, huldigt. Und in dieser Geschichte wird die Vater - Tochter/Sohn - Problematik, das Verhältnis und die innersten Erwartungshaltungen der Geschwister zueinander (Schwester - Schwester, Schwester - Bruder) überwältigend klar benannt. Sodaß sich ganz Alltägliches erhellt, sodaß man erkennt, daß es nicht zufällige, jeweils so ganz andere Umstände sind, die hier und anderswo die scheinbar (nur als Geschehen betrachtet) so einzigartigen Geschehnisse hervorgerufen hat.

Sondern es sind prinzipielle Konflikte, Forderungen, Beweggründe, die sich so scheinbar verschiedene "Historien" erkämpfen, in ihrem Gemengelage von Schuldbewältigung und Angst vor dem Urteil. Die Ermordung des Vaters und Ehemannes, um dem Ehrgeiz der Frau, die sich doch dabei nur einem weiteren, fremden Willen ausliefert, zu entsprechen, wird zur abstrakten, im Mythos aber so konkreten und damit nachvollziehbaren Darstellung der heutigen Situation Mann - Frau.

Alleine, wenn Hofmannsthal beschreibt, wie Klytaimnestra, die Mörderin ihres Mannes Agamemnon, des Helden des Trojanischen Krieges, des Vaters von Orest, Elektra und Chrysantemis (sowie: Iphigenie), die Szene betritt. Verzehrt und gezeichnet von bösen Träumen, im Gesicht die schweren Spuren der bösen, häßlichen Tat, zeigt er eine tiefe, kaum auslotbare Wahrheit um die Frau: Wo sie sich selbst bestimmt, ihre Identität scheinbar selbst definiert, dabei aber von Dämonen verfolgt wird. Wie sie diese Dämonie dann durch Definition, durch Magie zu besiegen sucht, die ihrer rein physischen Erscheinung volle Bedeckung geben soll, mit der sie dem Dämon keinen ungedeckten Angriffsraum mehr läßt: durch Ringe auf jedem Finger, den Zehen, durch reichste symbolschwere Ornamentik auf ihrer Kleidung, die durchgeformte Frisur, die dicke aufgelegte Schminke.

Wobei das Motiv der Klytaimnestra - eine nur als Rechtfertigung vorgeschobene Rache (ein möglicher, von ihr konstruierter Grund, aber nicht das wirkliche Motiv für jene Tat!) für die Weggabe ihrer Tochter Iphigenie als notgedrungenes Sühneopfer ("gedrängt, nach langem Sträuben", Sophokles) für einen Jagdfrevel Menelaos, des Anführers, an die Götter, die die Männer - Rache an Troja für den Raub der Helena - nunmehr auf Aulis festhalten, verbündet sie sich mit Aigisth (dem "Weib", der eine Frau zum Handeln braucht, wie Elektra spottet) um den heimkehrenden Agamemnon im Bade zu erschlagen - eine weitere Runde der Deutung einläuten kann.

Noch ehe Details wiegen, die so augenfällig sind: wie die Suche nach Rechtfertigung dadurch, daß sie sich die Pflege des Gedenkens an ihren erschlagenen Gatten, die Interpretation seines Lebens, anzueignen sucht, als Streit um die Deutung seines Todes - in der Errichtung eines scheinbaren Ruhmes, der von ihr aber stammt, an der Wahrheit um Agamemnon aber vorbeigeht.

Oder die Angst vor der Rückkehr des Sohnes, der wiederum zögert, die Rache wirklich zu vollziehen, so sehr ihm bewußt ist, daß es der Wille der Götter ist.

Die Verstoßung der Kinder, die sie mit ihrem ermordeten Gatten hatte, um der Kinder willen, die sie mit dem Gatten ihrer Leidenschaft in die Welt gesetzt hatte. (Worte Elektra's, Version Sophokles.) Und wie bewegend ihr Gebet, in derselben Version Sophokles', das wie ein Flehen um Umschaffung der Wirklichkeit (deren Wahrheit sich in ihren Träumen so deutlich abzeichnet, und für die ihr Elektra schreckliche Mahnung ist) dasteht.

Bewegend, die unterschiedlichen Haltungen der Töchter, deren eine nur noch das Recht um den Tod des Vaters im Sinn hat, während die andere einen Weg einer nie möglichen Versöhnung, nur Verdrängung sucht, als normale Frau ("und sei es die eines Hirten"; Version Hofmannsthal) sich zu wirklichen, Kinder zu kriegen, Lebensglück zu erfahren.

Da erhellt sich plötzlich so viel über das Wesen der Frau, über heutige Konflikte, bis in Details, denn selbst die heute so häufige Praxis des Tattoos (um dieses eine Beispiel um Klytaimnestra fortzuführen) beginnt zu sprechen, beginnt zu erzählen, was wirklich an Konflikten in dieser Welt zu sehen ist, weil es den Alltag so bestimmt. Wer die Elektra liest - im Rückgriff schon auf Sophokles, den großen Menschenkenner - kann so viel verstehen! Und er wird alle die soziologischen, psychologischen und psychologistischen Erklärungsmodelle der Gegenwart in ihrer Lächerlichkeit und Substanzlosigkeit hohnlachend abweisen.

Die Mythen und Sagen der Menschheit sind keine toten Geschichten, deren Geschehnisse einer überbordenden, entfesselten menschlichen Phantasie entsprungen sind. Sie sind Landschaften der menschlichen Seele, deren doch auf so wenige Stränge zusammenfaßbaren Wahrheiten unveränderlich sind, denn die Geschichte ist ein luftiges, durchgesichtiges Kleid, das über die ewig gleichen, Geister geworfen ist.

Es ist eine Welt ohne Gnade, gewiß, eine Welt eben "vor" Christus - nur so begreiflich, aber eben genau so begreiflich. Und deshalb immer von so großer Aussagekraft und Wahrheit: Denn in der Abkehr von Christus, von Gott, in der Sünde, in der Unfreiheit, fällt die Welt genau auf diese Strukturen und Motivik zurück. Die ihr Recht auch dem Christen aufdrängen wollen, ja ihn überraschen, heimlich gar überwältigen, nachts, wenn er nicht acht gibt. Heute um nichts weniger, als damals. Die Fülle an Theorien und "wissenschaftlichen" Erklärungen, und wie erst in den Verhaltensgeboten und verkündeten Moralismen, heute sind fast ausschließlich Versuche, der wahren Wirklichkeit hinter dem Leben zu entfliehen, andere Rechtfertigungsmechanismen aufzubauen, und ihr so (vermeintlich) nicht ins Gesicht blicken zu müssen.

Zumindest aber wird so deutlich, welchen Bruch, welchen Kulturwahnsinn, welch unermeßliche Hybris heutigen Zeitgeist (und heutige Politik) treibt, die das tiefe Menschsein einfach ... beliebig umzudeuten notwendig erachtet.

Und genau dabei nicht mehr ist als eine der schon lange, lange beschriebenen Figuren menschlichen Grundtheaters. Aber nicht: als Erlösergestalt.

So deutet sich unsere Zukunft. Als Elektra'sche Tragödie der Rache an den Vätern. Deutet sich die Gegenwart als Versuch der Klytaimnestra, den Mord am Vater zu verarbeiten, und eifrig die Mär (eine List des Orest!) des toten Rächers, ein Ende ihrer Bedrohung, verkündet (die ihr den Schlaf raubt). Als Lotterbett des weibischen Mannes, der in ihrem Bette sich wärmt, und ihr schwächlicher Gehülf wird.




*101109*