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Montag, 18. Januar 2010

Erfüllung höchster Möglichkeit

Die Verdunstung Europas, jenes Geistes, der sich in seinen Einwohnern als tiefste menschliche Wurzel findet, aus der sich alles Vereinzelte errichtet, aus dem aller und jeder seine Kraft schöpfte - wie schöpft, nein: schöpfte, als Konjunktiv - äußert sich am Furchtbarsten, weil Häßlichsten, in der Banalität der Utopie, es gäbe ein Land, eine Welt ohne Verzicht - weil ohne Transzendenz, die besagt, daß das Erfüllte des Lebens nicht in seiner primitiven materialen Erfülltheit liegt, sondern ... im Opfer, das erst zum Höchsten hebt, dessen der Mensch fähig ist - zum Höchsten, das seine Möglichkeit ist, und damit seine größte Erfüllung.

Und alles ist es selbst nur aus seinem Höchsten heraus.

Vergil's "Aeneis" wird nicht deshalb als Mutter Europas bezeichnet, weil es "künstliche" Mythologien als methodische Kulturgründung erstmals praktizierte, und dazu einfach Homer fortschrieb.

Das, was ihre kulturzeugende Kraft ausmacht - und sie atmet damit im Geist der damaligen Zeit, der "Fülle der Zeit", der Erlösungsahnung, in der sich hier Augustus incarnierte, dort Jesus Christus - ist genau diese Resignation, aus welcher Haltung heraus erst Kulturaufbau überhaupt möglich ist, weil der Welt in ihrem Zustande, in ihrer wirklichen Gegebenheit, antwortet. Und sie überwindet - nicht ihr, die außerhalb dieser Klammer sofort in banale Einzeltriebe zerfällt, die zusammengesetzt aber niemals mehr das Ganze ergeben - erliegt.

Diese Grundhaltung der Resignation ist die Situation der ewigen Heimatlosigkeit, der Vertriebenheit, der Verantwortlichkeit einem außerhalb aller Welt Stehenden gegenüber, dem zu genügen ist - ohngeachtet aller irdischen Niederlagen und Austreibungen. Es ist dieser Zug der Traurigkeit, den das Christliche so erfüllt. Indem es seinen Sinn aussagt, von dem her plötzlich alles Erlebte und Erlittene licht wird, sich erhellt, Welt und Geschichte plötzlich deutbar - ja: vorhersehbar, natürlich immer in gewissen Grenzen - wird. Denn das jeden Menschen prägende Erleben ist ... jenes von Leid. Wer anderes sagt, täuscht sich und vor allem: andere über die Natur der faktischen Welt, in der wir uns bewegen. Und wer vorgibt, dieses Leid zu beseitigen, ist ein Sohn der Hölle, wo er die Welt hinstößt, der er die Hoffnung der Überwindung nimmt.

Daraus schöpft man, liest man Vergil, wie aus einem Gebetbuch; und daraus schöpft man in dieser langen Liste der Literatur und Kunst, die Trost dadurch spendet, weil sie erneuert, als Urbild, welche menschliche Größe es - NUR! - ist, die alles aufrichtet und hält.

Bedrängtheitsliteratur allem voraus, wie Vergil, wie anderseits, als Dokumente des Menschseins der höchsten Möglichkeit, (um nur einen zu nennen) Theodor Haecker mit seinem "Tag- und Nachtbücher".




*180110*