Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 11. Februar 2010

Als alles zerfiel

"Das Imperium Karls V. in Europa war das Ergebnis dynastischen Erbganges und politischer Heiraten. Seinen Besitz hat der Kaiser von Anfang an mit Mitteln verteidigt, die viel beschränkter waren, als die meisten Zeitgenossen vermuteten.

(Der Machtanspruch des Habsburgerreiches beziehungsweise Spaniens, der ein Territorium umfaßte, das zwanzigmal größter war als das Römische Reich zum Zeitpunkt seiner größten Ausdehnung, und Süd-, Lateinamerika, große Teile Afrikas und Asiens umfaßte, neben der Iberischen Halbinsel, ausschließlich Portugal, den Niederlanden, Siziliens, Sardiniens bzw. Teilen Italiens, neben allen habsburgischen Stammländern, stand in nahezu absurdem Widerspruch zu seiner realen Macht, die auf einer Bevölkerung von höchstens zwölf Millionen, unter Karls Sohn Philipp II., dann inklusive Portugal, von fünfzehn bis zwanzig Millionen Einwohnern aufruhte. Absurd? Absurd war er, wenn man ihn als egoistischen Machtanspruch eben eines einzigen Landes versteht, und nicht als eines Herrschers, der "zufällig", in dem Augenblick aber nicht mehr auswechselbar, als König von Spanien, Herzog von Brabant etc. etc., das Lehen der Weltregierung im Kaiseramt, das nur überlokal und als alle Weltherrschaften zusammenfassend zu verstehen ist, empfangen hat - so, wie Karl V. es tatsächlich verstand, und sogar persönliche Machtansprüche, wie an das Burgund, hintanzustellen lernte. Anm.)

Solange Karl herrschte, verlieh der mittelalterliche Kaisergedanke, auf dessen Grund noch ein Überrest des Willens zu friedlichem Zusammenleben der christlichen Völker ruhte, den Unternehmungen des Herrschers einen ernsten Gehalt. 

Aber seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts (Reformation, Anm.) gab es im Sinne des Mittelalters keine Christenheit mehr. Und was den dynastischen Landbesitz anbetrifft, so wurde er mehr und mehr als Grundlage zur wirksamen Ausübung des Kaiseramtes durch das überall hervorbrechende Nationalgefühl in Frage gestellt. Für alle Herrscher auf europäischen Thronen ging es von nun an nicht um die Vielfalt der Herrschaftsgebiete, sondern um Konzentration und Sicherung.


Carl J. Burckhardt in "Richelieu"







*110210*