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Dienstag, 2. Februar 2010

Das Gegebene entwickeln

"Der verantwortungsvolle künstlerische Führer wird bei jeder jungen Begabung stets von Ehrfurcht erfüllt sein vor dem inneren Wesensgeheimnis des künstlerischen Menschen. Die "Äußerungen" sind wandelbar und lenkbar im erweckenden (wie leider auch im zerstörenden) Sinne - die "Innerungen" aber erscheinen als unbedingt gegeben. Der Glaube an sie, das schöpferische Eigengefühl, der Hingebungstrieb, die Ganzheitssehnsucht - das sind die Garantien für kommende Entfaltung. In jedem Augenblick der Entwicklung sollte die Ganzheit als solche dem Lehrenden wie dem Lernenden innerst bewußt bleiben. Dann kann die Erziehung zum Sänger, zum Künstlertum nicht allein die Vervollkommnung vorhandener Anlagen und Kräfte, sondern auch etwas wie eine Wesensverwirklichung, ja nach außen hin einen Wesenswandel bedeuten.

Kein Erzieher kann dem inneren Wesen des jungen Künstlermenschen in seinem Grundbestand etwas hinzufügen. Erziehung kann schlummernde Möglichkeiten, Anlagen erkennen und zur Entwicklung bringen. Aber nicht der Erzieher, sondern der Sänger persönlich in seinem ganzen inneren und äußeren Wesen muß entscheiden über seine Ausweitungsmöglichkeit - auch über Wachstum und Blüte der Stimme! Immer muß im Unterricht darum der ganze Mensch angepackt werden. Ein höherer Wertwille wird dann die Selbstgestaltung von innen her tragen."



Franziska Martienßen-Lohmann 
in "Berufung und Bewährung des Opernsängers"