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Donnerstag, 18. Februar 2010

Erinnerung an die Erinnerung

Ja, es ist keine Frage, Bachofen zu lesen bewegt das Herz, denn er spricht an, indem er in wunderbarer Synthese ausspricht, was in aller Tiefe in uns vorhanden war, ohne daß wir uns dessen bewußt waren. Plötzlich erleben wir wie dieses Fundamentale aufsteigt, sich benennt, plötzlich werden wir gewahr, wie lebendig es ist, immer war! Wie es uns antrieb, wie es uns bewegte, unser Handeln und Leben motivierte ...

In der zur Utopie gesteigerten Erinnerung wirkt Bachofen heute aber (und man muß es angesichts des matriarchal orientierten Feminismus, der sich auf ihn beruft, sagen: leider) am deutlichsten fort, während er sonst ja weitgehend vergessen ist. Denn wenn er anhand der Zeugnisse der antiken, ja der vorantiken (!) Gräber zu einer so großartigen, wärmenden, durchblutenden Deutung der Grundvorgänge des Lebens, in seiner Eingebettetheit in das Transzendente, kommt, ist es einem, als erinnerte man sich selber. Bachofen spricht von etwas, das nicht tot ist, das nach wie vor in uns wirkt - als ferne Erinnerung, in der Deutung von Grab- und Kultmonumenten, die in uns ausgegraben werden, wenn Bachofen das antike Rom durchstöbert ...

In einer Erinnerung - und jetzt kommt's, das müssen Sie, geneigter Leser, nun aushalten ... - an einen Kult, der sich auf einen Zustand VOR einem Bruch bezieht. An ein Paradies adressiert ist, das seine weiteren Gestalten tatsächlich aus sich selbst, aus seinem Formenschatz wie aus seiner Abspaltungsmacht heraus zeugte - "und nahm Eva aus seiner Seite" ...

Das aber verloren ist.

Durch Schuld.

Durch die Erbsünde, die uns das Paradies kostete. Ohne diese Hinzufügung, die vom Protestanten Bachofen zweifellos mitgedacht war, vergeht solcherlei Deutung zur bodenlosen und unmenschlichen Utopie, ja ohne dieses Wissen ist auch die vorantike, archaische, "chthonische", urtümlich geahnte, wie er es hier, tellurische, weltimmanente, irdische, wie er es auch richtig nennt, Religion gar nicht wirklich verständlich.

Denn nichts in der Welt vermag uns dieses Paradies zurückzubringen. Der "weibliche" Kult des Selbstverlustes, des Aufgehens in das Göttliche selbst, dem sich der Mensch in der Formlosigkeit der Ekstase einladend öffnet, ist in diesen antiken Resten und Symbolen belegt historisch gescheitert, weil es gar nicht anders geht. In allem trotzigen (und immer fanatischeren) Festhalten daran zerfloß die Welt, wurde zum Schrecken - die Dionysoskulte sind nicht zufällig schlimmstens entartet.

Es mag angehen, sich in Bachofens wundervollen Schriften ergehend, wehmütig ahnend dessen zu vergegenwärtigen, das an dieses Paradies erinnert, und als solche Zeichen, in noch viel frischerer Erinnerung gesetzt, muß man die Zeugnisse urtümlicher Religion sehen. Aber man darf nicht vergessen, daß sie bereits "posthoc" gesetzt sind. Und daß sie damit - gemahnen. Daß sie nicht mehr sind als zeitlich frühere und durchaus verzweifelte Versuche, die immer wieder ins allzu Irdische abglitten, die verlorene Überwelt erneut an diese Welt anzuschließen.

Weil in vollem Wissen, daß sie verloren, daß sie anders, daß sie aber das Reich der Toten, der Geister, des Gottes ist. Von dem uns eine offenbar hauchdünne, zur Ahnung, ja zu manchem Blick befähigende, aber feste Membran trennt, die im Paradiese noch nicht bestand, und die aller Kult (bis Christus erfolglos) zu durchstoßen sucht.

Genau diese Entwicklung nun beschreibt deshalb Bachofen, wenn er davon spricht, und dies als positiv und notwendig sieht, daß dem formlosen Urzustand des Matriarchats jener notwendige des Patriarchats folgte. Daß es nicht reichte, sich des Phallus, in weltimmanenter Heilsmutung der Selbstbefruchtung, in den entselbstenden, ekstatischen Mitteln des Matriarchats, zu bemächtigen. Bachofen geht nicht zufällig in seiner ersten Schrift vom je zur Hälfte weiß und schwarz gefärbten Ei, und der daraus ableitbaren weltimmanenten Zweiheit als Symbol dieser Urreligion aus.

Genau diese Weltimmanenz des Heiles aber ist im Verstoß aus dem Paradiese verloren - der "Eikult" wird somit leere Simulation erinnerter, symbolisch gewordener Ganzheit. Und er hinterläßt somit Trauer. Es brauchte erst die Inkarnation Gottes, als Mann, der nicht auf den Phallus selbst reduzierbar ist, so sehr dieser das Schöpfungsgeschehen der Welt, das aus der Vereinigung des Formlosen mit dem Formgebenden besteht, symbolisch repräsentiert. Erst im personalen, ganzen Hiersein, im Hereinkommen Gottes selbst, fand die Heilwerdung der Welt in einer Wiederherstellung gewisser Ursprünglichkeit statt. Und findet gebunden (als Hinterlassenschaft - "tut dies zu meinem Gedächtnis") in diesem Hereinragen des realen zeitlosen Ewigen, Außerzeitlichen, in der sakramentalen Liturgie und in ihrer Form bis heute statt.

Die Versuche damals waren schlicht untauglich, weil sie von falschen, durch reine Erinnerung genährt notwendig allzu irdischen Annahmen über die Natur dieser Heilsabsenz ausging. Sie waren auf Ahnungen gegründet, auf Erinnerungen, auf Sehnsüchten aufgrund des so aufsteigenden Fehlenden, und aller Kult war (und ist es ja auch heute) ein Versuch, diesen paradiesischen Zustand wieder herbeizuzwingen - und sei es, daß man das Jenseitige im (Menschen!) Opfer verbindlich stimmte.

Dem Hörenden ist es, als erzählte Bachofen in seinen Deutungen vorantiker Religiosität von der Vertreibung aus dem Paradies, und von den Folgen der Erbsünde. Ja, als habe er ethnologisch, archäologisch, philologisch den biblischen Fluch real entdeckt.

Und die Spuren in der Geschichte entdeckt, mitsamt dem Beweis, daß der Kult, die Religion nicht der Illusion erliegen darf, dorthin auf Erden aus Selbstherrlichkeit wieder zurückzukönnen. Daß nur die irdische männliche Form erzählender Beleg dieser Heilsverbundenheit ist, deren Natur aber - jenseitig, "nicht von dieser Welt", weil ewig, ist.

Was uns die antike und vorantike Welt davon erzählt, hat diesen Wert - an das (damals vielleicht noch frischer) Erinnerte zu erinnern. Das aber verloren, aus eigener Kraft und Selbstvollkommenheit nicht mehr herstellbar, sondern nur von außen, von jenseits dieser Membrane, als Handlung dieser uns übersteigenden, von uns nicht beherrschbaren, aber ansprechbaren Welt erwartbar ist.