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Dienstag, 2. Februar 2010

Geschlecht, Recht, und Sprache

Das wirkliche Hauptwerk Jacob Grimms ist weder die Märchensammlung (mit seinem Bruder), noch ist es das unvollendet geblieben (erst 1988 fertiggestellte) in jeder Hinsicht monumentale Deutsche Wörterbuch. Es ist die Deutsche Grammatik, es sind seine Schriften über Ursprung, Herkunft und Wesen der Deutschen Sprache.

Grimm sieht die Herkunft der Sprache als historisch mehr oder weniger überlagerte Botschaft aus dem urtümlichsten Menschsein, das denkbar ist - jenes Menschsein, das als Zeitalter der Mythen ferne, aber umso konstitutiver für das Menschsein jedes Volkes, und in diesem eingebettet, dem Einzelnen in gewisser Hinsicht vorgeordnet, jedes Individuums ist. Und er findet in Namen wie Wilhelm von Humboldt oder Friedrich Creuzer, ja er findet in einer ganzen geistigen Bewegung des 19. Jahrhunderts, seine Gesellen. Und nicht zuletzt: im Mutterrechtler Johann Jakob Bachofen, der ihn regelrecht anbetet.

Denn Grimm, zeitlebens zutiefst seiner Mutter verbunden (er hat nicht einmal geheiratet), der er auch die Grammatik widmet, begreift die Sprache als herabgesenkt auf uns Heutige, aus der langen langen Reihe, die uns mit den Ahnen verbindet, und wo in der Tradition uns das Heiligste, der Bezug zum Wesen der Welt im Mythos, im Grundempfinden, und insofern mutterrechtlich eingebettet. Denn das Wesen der Frau ist das Überindividuelle, Volkhafte, Sprachhafte, Unbewußte.

Und in besonderer Weise hat sich Jacob Grimm in die Problematik des grammatikalischen Geschlechts regelrecht verbissen, was entzündet vom Erkenntnisinhalt der Sprache selbst. Er sieht die Geschlechtsfrage der Substantive tief symbolisch, ja mythisch gegeben und erfaßt, und jedem menschlichen Willküren völlig entzogen.

Die Sprache selbst teilt uns so Botschaften aus einem Zustand des Menschseins mit, den mit "Paradiesisch" gleichzusetzen, in dieser Ferne zu verorten, geboten ist: hier erzählt sich das bessere, heilere, glücklichere Menschsein, das zugleich ein Dasein der Poesie ist - denn wie die Sprache, so ist damit zusammenhängend das Recht eines Volkes GEGEBEN, nicht gemacht, und auch keinesfalls logizistisches Konstrukt, sondern jeder Rechtsfindung gingen die Symbole, die Mythen VORAUS. Aber die Frau, auch symbolhaft für das Volk, gibt diesen Funken weiter, von ihr hängt ab, ob er lebt, oder verkümmert.

Aus ihnen erst hat sich der Maßstab von Recht und Gerechtigkeit, aus dem tiefen Erkennen der Natur selbst die Sprache gebildet, deren historische Entwicklung so wie jede Geschichte gleichfalls nicht beliebig erfolgt sein kann - denn was immer dem Gut abläuft, geht zugrunde. Dauer ist - dazu muß man nicht einmal Scholastiker sein, dazu genügt die Empirie - eine Qualität des Wahren! (sic!)

Die Sprache sei "gleich allem Natürlichen und Sittlichen ein unvermerktes, unbewußtes Geheimnis", es waltet der unermüdlich schaffende Sprachgeist, der "wie ein nistender Vogel wieder von neuem brütet, nachdem ihm die Eier weggetan worden; sein unsichtbares Walten vernehmen die Dichter und Schriftsteller in der Begeisterung und Bewegung durch ihr Gefühl."

Er teilt in einer ganz groben Systematik die Worte in folgende Symbolträger, und aus ihr die Geschlechter folgend, ein:

"Das Maskulinum scheint das Frühere, Größere, Festere, Sprödere, Raschere, das Tätige, Bewegliche, Zeugende; das Femininum das Spätere, Kleinere, Weichere, Stillere, das Leidende, Empfangende; das Neutrum, das Erzeugte, Gewirkte, Stoffartige, Generelle, Unentwickelte, Kollektive." (Deutsche Grammatik, III)

Die Geschlechtlichkeit ist also eine Erhellung des Wesens des bezeichneten Dings, das Wort ist sein Symbol, im Gehorsam gefunden - nicht willkürlich gesetzt. Die Sprache ist für Grimm wesentlich lebendige Mythologie, (wobei man Grimm vielleicht nur, aber gerade eben, dort widersprechen muß, wo er Mythus in die Mythologie zu weit ausdehnt - denn der Mythus ist unbewußt und "kollektiv" übernommen, gehört dem Volk - die Mythologie, als Geschichte, aber ist zweifellos positive Einzelleistung, wie A. W. Schlegel aufzeigt) tradiert aus "reinen Zeiten" (denen er, mit Bachofen, sogar freie Liebe als die poetischere zuschreibt, immerhin ist ja auch der Minnesang immer auf "Ehebruch" abgespannt). Und in dieser Geschlechtsidentifizierung ordnet er die gesamte Sprache, und sieht auch deutlich den Einfluß der Frau auf die Sprachtradition selbst.

Doch auch wenn Grimm der Frau die wesentliche Aufgabe in der Überlieferung zuschreibt, so sieht er immer das Maskulinum als das Frühere, das Zeugende, das "lebendigste, kräftigste und ursprünglichste", und er sieht den klaren und erhellenden Zusammenhang mit den Mythen der Völker, in denen (fast) überall der Mann der Frau vorausging beziehungsweise diese aus ihm geschaffen wurde.