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Montag, 22. Februar 2010

Goerdeler contra Eurozone

Als ich den Artikel in der Neuen Züricher Zeitung las, mußte ich an Carl F. Goerdeler denken. Denn mindestens genauso interessant, wenn auch auf andere Weise, wie seine Geschichte im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 (er wurde am 2. Feber 1945 enthauptet, als einziger der Hauptangeklagten übrigens, nicht stranguliert), sind seine wirtschaftstheoretischen Ideen. Die, aufruhend auf seiner gewinnenden, klaren, offenen Persönlichkeit (und seinen Erfolgen als Oberbürgermeister unter anderem von Leipzig), in den Jahren bis zu seiner Kaltstellung 1936 jenen legendären Ruf in Deutschland begründeten, der ihn zum Staatsoberhaupt nach einem erfolgreichen Putsch sehr geeignet gemacht hätte.

Was die NZZ nämlich über Griechenland, Spanien, die gesamte Euro-Zone schreibt, dazu beziehungsweise dieser Problematik hatte Goerdeler Gegenrezepte, die die Schweizer vielleicht tatsächlich kennen ... denn so vieles gleicht sich!

Da steht also einleitend:

Jeder Tourist weiß: In Spanien, Griechenland oder Italien auswärts zu essen, ist schmackhaft, die Rechnung aber ist gesalzen. Das ist der Grund für die desolate Lage dieser Länder – und damit des Euro. Die Löhne und Preise sind zu hoch geworden. Die vielgescholtenen Staatsdefizite dagegen spiegeln nur im Nachhinein die dramatisch verlorene Konkurrenzfähigkeit dieser Länder, seit sie der Euro-Zone beitraten. Abwerten können sie aber nicht mehr, wie früher die einfache Lösung lautete.

Ich bringe den restlichen Artikel auf einen (der möglichen weiteren) Punkte: Griechenland, ja die gesamten südlichen Länder Europas, haben sich mit dem Euro einen Strick gedreht. Denn so verlockend höherer Wohlstand und Ausgleich in Europa auch sein mögen, sie wurden der Wirklichkeit auch in diesen Ländern nicht gerecht. Nun sind die Folgen da, und sie scheinen kaum bewältigbar, weil sie in der Natur der Sache liegen. Die Rezepte, mit denen in Europa nämlich Wirtschaftspolitik gemacht wird - sie haben in Griechenland (und Spanien und Portugal, also dem Süden, aber auch Irland) genau diese Krise verursacht.

Denn um die Wirtschaftskraft in diesen Ländern anzuheben, wurde Geld nach unten gepumpt - auch durch die niedrigen Zinsen (des Nordens, mit höherer Produktivitätssteigerung). Dieses Geld hat bewirkt, daß die Löhne und die Preise sowie die Importe stiegen - nicht aber die Produktivität. Diese war scheinbar ja gar nicht mehr nötig - die Regierungen konnten über Sozialausgaben und staatliche Investitionen alle Folgen ebenfalls lange kaschieren. Gleichzeitig stieg der Euro auf den Weltmärkten - Exporte außerhalb Europas wurden noch schwieriger, die Arbeitslosigkeit stieg, die Sozialkosten gleichfalls ...

Da haben wir den Salat, ich habe es vorhergesagt, würde Goerdeler da sagen. Der ein strikter Gegner jedes Keynesianismus war, und nur (und erst in späteren Jahren) in äußersten Grenzlagen eine Einmischung des Staates für gut hieß. (Er war dann sogar mehrere Jahre Kommissar zur Überwachung der Preise - ein Amt, für das er kein Gehalt nahm, und sogar sein Privatauto ohne Spesenrechnung einsetzte.) Vor allem war er vehement gegen eine "Ankurbelung" der Nachfrage durch staatliches Geld, durch eine Erhöhung der Geldmenge, die NICHT im Gleichschritt (und eher nachträglich) mit höherer Güterproduktion und Produktivitätssteigerung stand. (Weshalb Goerdeler in gleichem Maß vehement gegen jede parteipolitische Färbung öffentlicher Ämter und Regierungsträger war, und dies ebenso offen wie klug von Hitler einforderte.)

Ein staatlicher Eingriff dürfe nur unterstützend zur Gesundung in Krisenzeiten, und nie länger, geschehen. Und was der spätere, nach, wie er dann meinte, "als einzigem bedauernd zu langem" Zögern per 20. Juli 1944 zu allem bereite Goerdeler in den späten 1920er, frühen 1930er Jahren dachte und soweit er konnte umsetzte (er sanierte zum Beispiel die Finanzen Leipzigs binnen kürzester Frist), klingt wie ein heute gültiges Rezept für Griechenland. Kein Wunder, denn seine Konzepte waren ja in Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise ab 1929 - die der heutigen in manchem gleicht.

(Unter anderem war er zu dem auch in aktueller analytischer Literatur vertretenen Schluß gekommen, daß die Währungskurse der Länder anders als damals geschehen zueinander akkordiert, aber nicht unveränderlich sein müßten - um nicht als Kampfmittel aller gegen alle zu dienen, eine der Hauptursachen für die Krise jener Jahre. Man lese dazu, was die NZZ über den Starrheits-Effekt des Euro folgert ...)

Goerdeler sah die Wirtschaftskrise 1929ff. als Ergebnis einer zu hohen Geldmenge bei zu niedrigen Geldkosten (bei gleichzeitigem Anstacheln der Anlegermärkte zu höherem Risiko für höhere Zinsen ... wie heute!) Gegenrezepte wären lediglich durch harte Arbeit und Sparkurse - ja: Deflation - wirksam: sie bestünden in einer Senkung der Löhne, in einer Senkung der Preise (notfalls durch staatliche Kontrolle - diese Aufgabe hatte dann Goerdeler für Jahre übernommen), in einschneidendem Sparen bei aller staatlicher Verwaltung, drastischer Reduktion des Beamtenapparates auf das Notwendigste und in einer Erhöhung der Güterproduktion durch höhere Stundenleistungen der Arbeitnehmer. Denn der Grund für mangelnde Nachfrage auch am Weltmarkt sei der zu hohe Preis der Güter. Und der Grund für die zu hohen Preise waren unter anderem die im "Boom" der Wirtschaft der 1920er Jahre leichtsinnig in den Markt gepumpten, vielfach auch öffentlichen Gelder.

Weil dies - ein Exkurs - in volksdemokratischen, parteipolitisch durchtränkten Ordnungen aber kaum durchsetzbar war, war Goerdeler, gewiß zur Überraschung mancher heute, ein Verfechter des Systems der Notverordnungen auf Zeit (wie eben vor Hitler, und diesem dann zum mißbrauchbaren Instrument).

Das klingt wie jenes Fazit, das der Schweizer Journalist Beat Kappeler in seinem Artikel zur Lage des Euro zieht. Der die gemeinsame Währung für gescheitert hält. Weil sie die realen Wirtschaftsverhältnisse in den südlichen europäischen Ländern bestenfalls "frohrechneten." Gleichzeitig hätten diese Länder keine Möglichkeit mehr, sich durch Währungsparitäten (Abwertung) am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Aber die Wirtschaft habe bereits viel Substanz verloren, weil durch die erhöhten Importe Arbeitsplätze, Unternehmensgewinne und Steuereinnahmen nur noch sanken. Zugunsten der Nordländer nämlich! Die zwar dafür "Geld schickten", aber die Folgen sind bereits dargelegt ... durch die Krise 2008/09 sind nun die südlichen Haushalte rettungslos ruiniert! Die Schulden Griechenlands, Spaniens, Portugals ... sind nicht mehr bezahlbar!

Zur Rettung des Euro aber legt sich nun - bumerangartig - den nördlichen europäischen Ländern eine Last auf, die diese kaum tragen können. Und der Euro geriet längst schon unter Abwertungsdruck, während die Energiekosten dadurch (Importe werden teurer) steigen und einen eventuellen Aufschwung bremsen. Wobei sich aus demselben Grund die Zinsen zur Regulierung nicht erhöhen lassen - der schwachen südlichen Länder wegen - um die Inflation in der ganzen Euro-Zone bei den hohen Geldmengen, die zusätzlich aufgebracht worden waren, im Griff zu halten. Kappeler meint sogar, daß, wenn die südlichen Länder nicht aus dem Euroverbund austräten, Deutschland diesen Schritt machen sollte. Denn die Last wird nicht zu tragen sein und ein Vielfaches der Wiedervereinigung ausmachen.

[...] Die noch einfachere Lösung ist völlig tabu – dass Deutschland austritt. Es gewänne tiefere Zinsen, und alle seine Euro-Schulden würden mit einer aufgewerteten Mark bezahlt. Der Konkurrenznachteil des Euro-Südens fiele weg, die Importe für die Deutschen würden billiger. Auch hier steht eine Ideologie im Wege – die vielgerühmte Europa-Solidarität. Die einfache, nutzenorientierte Frage der Schweizer oder der Engländer, die ohne Euro jetzt massiv abwerten konnten, stellen sich Deutschlands Politiker nicht: Was bringt's, was kostet es?

Gewiß originell, der Vorschlag. Schon gar, wenn man die Frage mancher anderer Kommentatoren weiterspinnt, die da lautet: Wo dieses ganze Geld, das der Europäische Währungsfonds allein voriges Jahr geschaffen habe, denn nun hingeflossen sei? Wo wieder Goerdeler ins Spiel käme: Denn zwar sei scheinbar die Krise 2009 abgefangen worden, weil weit weniger "schlimm" ausgefallen als befürchtet, aber sie habe die wirkliche Krise nur hinausgeschoben. Und die sei eine Überproduktion gewesen, die aber durch zu hohe Preise aufgrund zu hoher Stückkosten durch zu hohe Löhne und zu hoher Sozialausgaben nicht absetzbar gewesen war. Nimmt man die Autobranche als Beispiel und Symptom, so hat Goerdeler einfach recht.

Es gibt Meinungen die nüchtern schlußfolgern, daß diese riesigen Rettungs-Geldmengen (zum Beispiel vom Europäischen Währungsfonds) vom Markt nicht aufgesogen, verarbeitet wurden, denn es wurde ja nicht mehr produziert, weil nicht mehr verbraucht, und schon gar nicht aber: Mehr (und gar zusätzlich) investiert (denn welcher Unternehmer geht ohne realen Sinn höheres Risiko ein?), sondern stattdessen eine neue Welle Anlage suchender Investoren ausgelöst habe - bis zum nächsten Blasensprung ...

In Wirklichkeit war das Wirtschaftswachstum der letzten Jahre (so wie vor 1929) und gar Jahrzehnte bereits zunehmend künstlich, zum einen, durch öffentliche Ausgaben über Verschuldung entstanden, und zum anderen durch "Leerlaufwirtschaft" - durch Erhöhung der (unproduktiven) Sozialkosten (die ja in unsere BIP-Rechnungen als "Wirtschaftsleistung" aufblasen) sowie (meist staatlich bezahlte) Tertiärkosten (Beispiel: Folgekosten, die der Realwirtschaft abgenommen werden und dort ein unwahres Kosten-/Nutzengefüge entstehen ließen - wie Umweltsanierungen, Kinderbetreuungskosten, Frühpensionierungen anstatt Arbeitslosigkeit etc.) In Krisenzeiten sind diese Ausgaben nicht mehr haltbar, will man keinen Staatsbankrott riskieren.

Goerdeler meinte übrigens, daß die Arbeitslosenfürsorge (er war ein Gegner einer Versicheurung) auf kommunaler Ebene zu bleiben habe. Der Verantwortungsgefühle aller wegen.

Irland (das - aus anderen, und doch sehr ähnlichen Gründen - vom selben Problem betroffen ist) hat als erstes Land nun begonnen, die Preise zu senken. Der NZZ-Journalist meint, daß aber die südlichen Länder wohl kaum nachziehen würden. Denn dort, so Kappeler, sei der ideologische Druck viel höher. Zitat NZZ:

Doch Spekulation war eher, dass die damals Europa dominierenden Sozialisten und Gewerkschaften den Maastrichter Vertrag nicht richtig gelesen hatten, daß die Politiker hofften, alles gehe schon noch auf. Doch das Grundlagenpapier der EU-Kommission von 1990 zur Währungsunion sah «insbesondere in der Lohnflexibilität das wichtigste Anpassungs-Instrument». Als Alternative müssten diese Länder die Leistung pro Kopf dramatisch steigern. Dazu müssten die Kündigungs-Hemmnisse abgeschafft, die Arbeitszeiten verlängert, die viel zu vielen Staatsangestellten in private Produktionen gesteckt werden. Solche Produktivitätsgewinne sind das Unwahrscheinlichste. Da bleiben nur lange Jahre Abbau und Deflation.

Tja - wer da nicht Goerdeler hört? Der war eben auch ein vehementer Gegner von Ideologien, sodaß er sogar mit seiner eigenen Partei brach. Doch seine Gedanken waren gewiß bemerkenswert. Für Ideologen freilich überraschend, und für Hitler bald "unmöglich" und "lächerlich", weil der alle Erfolge durch fröhliche Geldvermehrung erzielte. Später war seine (an sich lange Zeit hohe) Meinung über Goerdeler dann noch ganz anderer Qualität.

Wieviele Parallelen zur Gegenwart!