Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 22. April 2010

Aus fernen Zeiten ward berichtet

"In dieser Zeit gab es nur einen Stoff; er war Gemeingut wie Luft und Licht, in natürlicher Entwicklung nach den ewigen Gesetzen geistigen Trennens und Lösens, Verbindens und Schaffens erwachsen. Die Form war fest und kunstvoll geschmiedet, ein Becher, mit dem man nur zu schöpfen brauchte.
Dichten hieß erhalten und liebevoll hegend weitergeben, was allen gehörte und niemandem. Der Dichter war der Mundschenk, der den Wein in kundiger Wahl zu reichen hatte. In angemessenem Tonfall trug er sein Lied in rhythmischer Harfenbegleitung vor. Da waren alle Küsnte vereinigt: Tonkunst und Wortbild und die dramatische Weise, in einfacher, gewaltvoller Verbindung und Wirkung, was man in späten Jahrhunderten erst durch mühsame Arbeit zu verknüpfen suchte.

Und statt des einsamen Lesers eine Versammlung gleichgestimmter Zuhörer, statt des gelegenheitslosen Genießens der kommenden Geschlechter ein dichterisch gehobener Tagesabschnitt - festliches Mahl und frohe Gemeinschaft-, eine Jahreswende - Fest und Opfer - , oder der ernste Markstein eines Lebens - Hochzeit, Totenfeier - aber immer eine Gelegenheit und ein Anlaß.


Um was wir die Griechen so beneiden, das hat das deutsche Volk einmal schon besessen, in den Hallen der gotischen Fürsten, an den einfachen Höfen der Franken und Sachsen, Alamannen, Thüringen und Bayern, selbst an Attilas glanzvollem Fürstensitz, wo gotisches Leben und germanische Lieder heimischer waren als in Ravenna und Aachen
."


Josef Nadler in "Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften" über die Rolle der Literatur bei den Germanen
vor dem Jahre 800.



*220410*