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Montag, 14. Juni 2010

Das Maß der Freiheit

Silva-Tarouca faßt das Wesen des Dialektischen so zusammen:

Die Welt ist ihrem Wesen nach ein Zueinander aller Dinge. Was immer dem Subjekt begegnet, erregt dessen Reaktion. Alles Werden ist sohin - auch! - ein Werden in eine konkrete Lage, Zeit, Situation hinein. (Aber nicht nur das: Es ist auch ein Schaffen neuer Lage, neuer Situation, neuer Zeit.) In jedem Augenblick drängt sich somit ein Teilhaftes als Ganzes in den Horizont - der Augenblick will das Ewige ersetzen. Das würde aber bedeuten, daß Vollkommenheit und Ewigkeit im Augenblick bereits enthalten sein müßte, würde eine bereits vollkommene Welt verlangen. Aber die gibt es schon aus dem Wesen unseres Erkennens nicht, weil der Mensch nur ganz er selbst ist, wenn er geistvoll handelt - und dazu muß er erinnern, "nachdenken", und das heißt: aus dem Augenblick heraustreten. Unser Denken ist immer nämlich Denken in der Zeit.

Das Anschauungsweise, schreibt deshalb Schopenhauer einmal, ist nicht mehr als die Rückprüfung des Gedachten, sein bildhafter Ausgangs- und (erinnernd) Rückfragepunkt außerhalb der Zeit. Es ergibt keine praktische Vernunft. Es braucht dazu das Urteil.

Das Wesen der Erkenntnis ist insofern also dialektisch, als es die Verpflichtung des erkennenden Individuums bedeutet, aus dem bloßen Agieren und Reagieren der Dinge heraus das sie EINENDE Allgemeine, das über allem Stehende, das beide Teile Beinhaltende, zu suchen und zu ergreifen. Was letzteres eine Frage des Willens zur Tugend ist, wo nicht bereits Tugend selbst, die wiederum Wille zum Geist bedeutet.

Denn so wird der Einzelne zum Besitzer der allgemeinen Wahrheit, so wandert der Weltgeist in das Individuum hinein, im Maß seiner damit entstehenden Geistigkeit, die zugleich seine Freiheit ist.

Nun heißt natürlich diese Dialektik nicht ein simples "Die Wahrheit liegt in der Mitte", schon gar nicht bedeutet sie primitiven Synkretismus - ein einfaches "alles zusammenbrauen", ein "alles ist wahr". Denn hier muß noch dazugedacht werden, daß alles nur im Maß seiner Freiheit überhaupt IST, und insofern nur Sein HAT. Da nur Sein begegnen kann, gibt es zwar nichts, das nicht auf irgendeine Weise Sein hat, sonst gäbe es es nicht, aber es ist aus allem Faktischen dieses wirklich Seiende zu destillieren ... durch Verprüfung mit der Wahrheit.

Konkret an einem Beispiel: Wenn das Gegenüber lügt, ist die Begegnung des wirklichen Seins eine andere, als die des Scheins.



*140610*