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Donnerstag, 24. Juni 2010

Gegenwärtige Substanz

Es fehlen schon seit (mittlerweile, Anm.) hundert Jahren bald die "Olschen", die alten Frauen, die hinter dem Spinnrad saßen, und abends den Kindern die alten Märchen und Geschichten und Balladen vortrugen.

Das war weit mehr als "eine Geschichte vorlesen", oder Information weitergeben, es war auch mehr als einfach "vortragen"! Es war das Gegenwärtigwerden der Inhalte selbst, die somit in den Zuhörern weiterlebten, weil wirklich empfunden und durchlebt wurden. In diesem Gegenwärtigwerden wurden sie zeitlos und ewig, weil sie aus aller Zeit fielen.

So blieb das Kulturschöpferische erhalten, wurden die Seeleninhalte wachgerufen, und zum Tanz geladen.

In dem Moment, wo diese Geschichten aber sterben, oder zur Inhaltstechnik oder Pädagogik werden, schließt eine Kultur ihre Türen und legt sich zum Sterben.

Ganz hat er freilich nicht recht. Denn noch in den 1960er Jahren gab es sie, die dunkelen Frühabende, wo die Mutter mit den Töchtern beim Strümpfestopfen saß, die Arme von Zeit zu Zeit durchschüttelte, als wollte sie sie abtropfen, weil sie Probleme mit der Durchblutung hatte, und - auch - erzählte. Von der alten Heimat, von Kindheiten in früheren Zeiten, aber auch von Schicksalen, darunter nicht wenige Seltsamkeiten, die die Rätselhaftigkeit des Lebens erfahren ließen. Während ich am Boden saß und mit Bauklötzen spielte oder wirklich auf der Eckbank saß, die Hände vor mir auf den Tisch gelegt, in die ich das Kinn stützte, und zuhörte.



*240610*