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Samstag, 26. Juni 2010

Zivilisiertheit

Der englische Spectator berichtet in einer Ausgabe von 1705 folgende Geschichte:

Der Engländer Thomas Inkle war der dritte Sohn eines reichen Londoner Bürgers, und schiffte sich eines Tages, gut mit Geldern ausgestattet von seinem Vater, nach Ostindien ein, um dort wie so viele Handel zu treiben. Während einer Expedition ins Binnenland wurde ein Teil der Abteilung, zu der er gehörte, von feindseligen Indern niedergemetzelt; er alleine entkam, und versteckte sich im Dschungel.

Eine Inderin entdeckte ihn. Sie war schön und jung, und hieß Yarico. Und prompt verliebte sie sich in diesen Fremden, diesen Unglücklichen, und gab sich ihm mit Leib und Seele hin, ernährte ihn, behielt ihn bei sich. Er versprach ihr, sie nach England mitzunehmen, wenn sich je die Gelegenheit dazu bieten würde, und er erzählte ihr vom Leben in London und auf den Gütern seiner Familie, und sie malten sich aus, wie sie dort gemeinsam leben würden. Tagtäglich hielten sie sehnsüchtig Ausschau, blickten von den Hügeln aufs Meer hinab.

Nach einem Jahr vergeblichen Wartens, aber gemeinsamen verborgenen Glücks, stürzte Yarico aufgeregt in die Hütte - ein Segel war am Horizont zu sehen. Sie entzündeten das vorbereitete Feuer, gaben Zeichen, und wirklich: das Schiff kehrte um, kam näher, und Matrosen setzten an Land. Die beiden stürzten ans Ufer, gaben sich zu erkennen, und die Engländer, denn solche waren die Seeleute, brachten sie an Bord.

Die Freude schien grenzenlos, und der Kapitän des Schiffes machte ihnen in der Segelkammer Platz, wo sie die Heimfahrt zubringen konnten. Doch je länger die Reise dauerte, je näher sie englischen Gewässern kamen, schon umsegelten sie das südafrikanische Kap, desto nachdenklicher wurde Thomas Inkle. Was sollte er wirklich mit dieser Frau anfangen? Er hatte aber seine Zeit, sein Geld verloren ...

Als sie sich der Küste des Togo näherten, bat er den Kapitän, den dortigen Hafen anzusteuern. Dort brachte er seine Frau an Land. Er ging mit ihr auf den berühmten Sklavenmarkt, und ... bot sie dort zum Verkauf an.

Weil sie schwanger war, erzielte er einen weit besseren Preis, als ihre Schönheit alleine versprochen hatte. Ehe er das Schiff wieder bestieg, erstand er noch einige Tonwaren, die Einheimische anboten, Geschenke für seine Freunde und Verwandten.



*260610*