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Sonntag, 25. Juli 2010

Bis zum Ort der Wahrheit

Eigentlich ist die Begrenzung des Cusanus - Nicolaus von Kues - der entscheidende Punkt im Argumentieren gegen die Unbegrenztheit, die der Mystizismus sehr gerne für sich beansprucht, indem er sich jeder Nachprüfbarkeift entzieht.

Er benützt dabei ein Schlupfloch, das die Begrenztheit und Unausreichendheit des Verstandes aufreißt, in dem der Verstand selbst die Umklammerung in der Vernunft benötigt, wie Schopenhauer es formuliert: durch und im Urteil. Damit fällt einen Augenblick die Verifizierung des Erkannten bzw. Erkennens auf das erkennende Subjekt zurück, er wird sich selbst Richter.

Cusanus zeigt nun, daß die Vernunft in ihrem kreativen Akt, den diese Vernünftigkeit darstellt, sich sehr wohl des Verstandes bedient, und in einem dynamischen Zusammenspiel zu einer Verifizierung im Sinne einer höchstmöglichen Plausibilität (Wahrscheinlichkeit) gelangt. (Mehr an Gewißheit kann es ohnehin nicht geben.) Hier erst ist der Ort der Wahrheit erreicht, zuvor bewegt sich alles nur in Kategorien des richtig oder falsch. Die Vernunft selbst, zu deren Angelegenheit sie wird, gehört dem translogisch-suprarationalen Bereich an. Bis, ja bis zum Gottesgesichtspunkt.

Keinesfalls also vermag sich der Mystizismus durch Bezug auf "sinnlichen Beweis" zurückziehen und unangreifbar machen - auch in diesem Bereich (Cusanus teilt das Erkennen in Regionen ein) unterliegt er (rein "technisch-funktional") einer Verifizierung/Falsifizierung. Cusanus rettet damit die Rationalität, ohne rationalistisch zu sein.

An diesem Punkt wird die Begrifflichkeit zur Metaphorik, denn nur in der Metaphorik vermag das Erkennen die Begrenztheit der Logik zu einer höheren Dialektik hin zu erweitern, und sich analog zu Gott als "wahr" zu erweisen. Es wird katholisch: das Ganze betreffend ("kat-"= nach, gemäß, "holos" = ganz).

Gleichzeitig löst sich der Wahrheitsbegriff in seiner Relativität der bestenfalls erreichbaren Nähe (weil wahr nur intentional-wahr sein kann) nicht ins Unbestimmbare und Irrelevante auf, sondern er bleibt verhaftet mit der Wahrheit "an sich", doch wird die Erkenntnis der Wahrheit nicht zum bloßen Rechenspiel, sondern eine persönlich-sittliche Leistung. Sie verbleibt im Bereich reflektierten Nichtwissens, in dem die Philosophie selbst als Reflexion perspektivischer Standpunkthaftigkeit, als konjekturales (vermutetes) und dennoch zu setzendes Ereignis erscheint. Und sie benötigt keine "ontologische Fiktion", um zu solcher Vernünftigkeit zu kommen - der Mensch vermag sie noch aus individueller Autonomie heraus zu wahren.

Bemerkenswert, wie in diesem Punkt die hier zuletzt rezipierten Aussagen von Schopenhauer, Gödel und nun Cusanus - in eine Aussage zusammenfallen. Nur war die Rationalismuskritik des Nicolaus von Kues (neben seiner Vorwegnahme der Kantischen Kritik der Reinen Vernunft) der des 19. und 20. Jahrhunderts um fünfhundert Jahre voraus.


*250710*