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Freitag, 16. Juli 2010

Langeweile des Hades

Es ist nicht so, daß die Dinge einfach DA sind. Wir müssen sie ins Licht holen!

Wenn wir aufhören, uns um sie zu bemühen, sinken sie ins Reich der Schatten, driften sie ab - in den Hades, wo alles freudlos, bleich, sinnlos ist, selbst wenn es wie Geschäftigkeit, wie eine Tätigkeit des Sonnenlichts aussieht. Wir verlieren die Welt in die Langeweile.

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Kästner führt einmal eine andere Art von Absinken der Dinge an: "Wenn alles gut gewollt wird - aber es kommt Schauderhaftes heraus." Er führt die Medizin an, die so deutlich verlängerte Lebenszeit. Aber gleichzeitig bauen sich vor uns Zukunften auf, vor denen allen schaudert. "Das Gespenstische ist doch, daß Gutes gewollt und erreicht wird, das uns aber unterhand umschlägt." Als wäre alles vergeblich. "Wissenschaft ist der Hades-Führer. Wissenschaft ist an die Stelle des Hermes getreten, des Reiseleiters zum Hades." Dabei habe sie uns einmal Licht und Aufgeklärtheit bringen wollen - sie habe das Gegenteil erreicht. Mit dem Zuwachs des Wissens wachse der Teil der Wissenschaft, den wir niemals wissen könnten, weil es für den Einzelnen einfach zuviel werde. Also wachse auch das schlechte Gewissen. Sie füttere den Welt-Schatten.

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Der Kampf um Nebensachen, aus Scheingründen, wird immer mörderischer. Die Welt hat sich schon so weitgehend ins Irrelevante verloren, daß das Grauen jedes Einzelnen wächst, weil der Schatten in seinem Rücken immer bedrohlicher anwächst. Aber er vermag sich nicht mehr umzudrehen - er hat kein Licht mehr; er weiß den Ausweg nicht mehr. Und während alle mit allen kämpfen, driftet das Schiff ab, dem Okeanos-Strudel zu.

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Es sind so viele Menschen geworden! Und so viele, die da ankamen, am Styx, und ein Durcheinander brach mehr und mehr aus, und tranken verkehrt - erst aus dem Brunnen der Erinnerung, sodaß alles, unsortiert, gleichzeitig war, was jemals gewesen ist, das wenige Wesentliche, das viele Unwesentliche. Und dann tranken sie von Lethe.

Aber anstatt, daß sie vergaßen, was gewesen, vergaßen sie, wo sie waren! Diese nun glauben, sie seien im Reich der Lebenden, und sind doch nur im Schattenreich! Das sei nun das Leben, glauben sie, denn sie haben nun alles, das Vergessen und das Gedächtnis. Sie glauben, Lebende unter Lebenden zu sein. Dabei sind sie Schatten, sie reden wie Schatten, und tun Schattenhaftes wie Schatten. (Erhart Kästner)


*160710*