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Dienstag, 13. Juli 2010

Man leidet immer

Die Summe der Leiden, die ein Mensch zu erdulden und zu bewältigen hat, schreibt Schopenhauer, ist immer gleich, und sie ist deckungsgleich mit seinem Grundwillen, der ein Wille zu leben ist, und sich Gegenstoff sucht, um sich zu wirklichen. Ist das Leiden "objektiv" groß, oder klein - in letzterem Falle wird eben dann das Kleine zum Großen aufgeblasen. Ist ein Wollen befriedigt, so steht es - wie man eine Münze umdreht - sofort in einem anderen Kleide wieder da.

Deshalb ändert weder Reichtum, noch Armut an diesem Bedürftigkeitszustand etwas. Denn man genießt nicht, was man hat, sondern was man durch sein Handeln zu erlangen hofft. (Armutsbekämpfung kann deshalb nicht heißen, Gütermangel direkt auszugleichen, sondern jeweiligen Lebensvollzug zu ermöglichen, indem man ihn nicht behindert.)

Und weil unser Leib Ausdruck dieses unseres Wollens ist, so können wir uns - als wollende Subjekte, im Rückschluß in den Motiven - an den konkreten Taten und Neigungen dieses Leibes erkennen. Übersteigt das Wollen die Leiblichkeit, so folgt aus dieser Ablehnung des eigenen Daseins der Wunsch, das Dasein der Umgebung zu vernichten beziehungsweise zu verneinen, wo es ihm (vermeintlich) im Wege steht.

Nur im Leiden, im Mangel, in der Not erfahren wir uns überhaupt selber. Und niemand Fremder kann das Leiden in jemandem wirklich beheben oder ausräumen, schon gar nicht, weil das Leben eines Menschen in direkter Weise mit seinem Willen zusammenhängt! (Wenn, dann kann Hilfe nur heißen: Hilfe zur Selbstregulierung.)

Nur das Wollen, das Begehren, liefert den spezifischen Antrieb, sich einer Sache zuzuwenden, um sich an ihr handelnd selbst zu vollziehen. (Man erfährt es in der Gebrauchtheit, in der Anforderung.)

Das Schlimmste, woran ein Mensch leiden kann, ist deshalb die Langeweile. Und sie tritt ein, sobald er "gesättigt" ist. Denn das Glück, als Abwesenheit aller Wünsche, ist nicht erlebbar. Erlebbar ist nur der Wunsch, als Spannung auf ein zu erfüllendes Ziel hin. Glück selber ist dann lediglich aus der Vorstellung erfahrbar, die die Spannungsreduktion antizipiert.

Darin deckt er sich mit der christlichen Vorstellung des "vallis lacrimosa", wenn Schopenhauer meint, daß der Normalzustand des Menschen der des Leidens ist. Man könnte ihn zum Irrsinn treiben, ihm jede Leidensreibung (schon gar präventiv) nehmen zu wollen.


*130710*