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Donnerstag, 12. August 2010

Not lehrt

Es war nicht der einzige, aber einer der häßlichsten, entlarvendsten Irrtümer von Karl Marx, auch unter Rückgriff auf Feuerbach (etc.), die Religion in ein Zweckverhältnis der Befriedigung irdischer Wünsche eingespannt zu sehen. Unter anderem aus der für Marx so frustrierenden Beobachtung, daß die Not der Arbeiter nicht deren Empörung, sondern deren Religiosität beförderte.

Also schloß er, schlossen andere, daß der Sinn der Religion in der Bitte liege. Immerhin heißt es ja auch: "Not lehrt beten!" Aus einem völligen Mißverstehen von Religion überhaupt, das der Religion Weltbeherrschung und Magie, also: Zweck, unterschob.

Aber es ist bei weitem gefehlt. Not führt nicht zum Notausgang, das Gewünschte von einer Ersatzfigur - Gott - zu erbitten. Bei weitem nicht. Not lehrt, daß das Leben Wege geht, die nicht in der Vorsehung Gottes stehen (könnten.) Deshalb ist das Gebet in der Not nicht "Bitte um Fehlendes", auch wenn es sich so äußern mag. Aber das ist nur aus Verlegenheit, weil der Mensch um Worte verlegen ist, so wie man an der Türe herumdrückt, und sich einen Grund überlegt, warum man eintreten sollte, was man denn nun sagen sollte, das angemessen ist. Und da hieß es doch: bittet. Und so weiter. Und so fort.

Nein, das Gebet der Not ist die Wiedereingliederung in den Lauf der Welt, wie ihn das Sein zu gehen drängt. Es ist im eigentlichsten Sinne Selbstkorrektur, denn nicht die materielle Situation geriet aus den Fugen, sondern das Umgehen damit. Wer den, der Not durchgemacht hat, erlebt, der erlebt keinen Sieger, dem nach "erfolgreichem" Gebet das Ende der Niederlage geschenkt wurde.

Wer aus der Not gestiegen ist, dem sieht man eine tiefe Ergebenheit an. DARAN erkennt man sie in Wirklichkeit, die Sieger: sie sagen Ja zu allem, was kommt. Die Not hat sie gelehrt, daß es nicht auf irdischen Erfolg ankommt, nicht auf materiellen Wohlstand - das ist Windhauch.

Religiosität hatte nie, wenn sie echt ist, einen Zweck. Sie ist Antwort auf wirkliches Welterleben. In der Not zeigt sich meist ganz real das Großartige eines inneren, tief verborgenen Erlebens, daß die Welt in einer einzigen Hand geborgen liegt, in der des Seins selbst, das/der alles enthält - Gott. Darauf steigt man dann zurück, läßt die Welt, die sich eben dem Willkürmenschen entzieht, wieder los, und fügt sich der Göttlichen Vorsehung.

Denn es ist nicht Gut und Geld, das der Mensch wirklich begehrt. Das anzunehmen ist selbst schon dumm. Es ist die Sehnsucht nach der Nähe Gottes, das Leiden an seiner Ferne - und der Schritt zurück, erneut zu ihm hin. In die Höhe des Anredens Gottes, dem man wieder die Freundschaft bekundet.

Um dann, gereinigt, sich im Opfer (und im Mahl) wieder mit ihm zu vereinen.

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Man hat übrigens nie recht verstanden, warum in den alten Tiefopfern die scheinbar "wertlosesten" Teile des Opfertieres Gott selbst geopfert wurden, während das "gute Fleisch" von den Opfernden gegessen wurde. Der Grund ist sehr einfach: die Innereien, Knochen etc., die dem Gotte vorbehalten blieben, waren nicht das "wertlose", so denken nur wir Utilitaristen und Technizisten.  Vielmehr waren es jene Teile, aus denen heraus sich ein Lebewesen konstituierte! Es waren also die zentralen Lebensteile, die man Gott "zurückgab," als ihm gehörig. Selbst der griechische Mythos, der in seiner Differenzierung in Einzelgötter etc. ja relativ jung (im Sinne von später) gewesen war, konnte damit schon nicht mehr etwas anfangen.

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Um sich völlig in die Einheit mit dem Gott zu wiegen - im Tanz, der auch in seinen schlichten alltäglichen Formen Zeichen der Einheit mit der Welt und ihrem Innersten ist. Nicht mehr nach menschlicher Willkür bewegt sich der Mensch dann, sondern nach der freien, großen Weise der Götter, als Halbgott. (Wie es sich bis zum heutigen Tage, übrigens, in der "alten" katholischen Liturgie wiederfindet, wo jeder Schritt abgemessen und geregelt ist, als Tanzschritt vor Gott.)



*120810*