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Sonntag, 19. September 2010

Das Schöne durchgetragen, damit man überlebt

"Winterlamm" ist nicht unbedingt ein Meisterwerk, und über lange Strecken ist das, was vielleicht als poetische Sanftheit verstanden war, leeres Stroh. Aber Márton Kálasz ist Ungarndeutscher, "ä Schwowe", und wird als Autor dieser Volkschaft, die letztlich zwischen allen Stühlen saß, betrachtet. Das war auch der Grund, warum ich nicht aufgab, auch nicht nach zweihundertfünfzig Seiten, etwa der Hälfte der Styria-Ausgabe, als sich allmählich Frustration bemerkbar machte. Denn anderseits war Kálasz als reiner Berichterstatter wieder viel zu dünn, mit seiner geschilderten Historie also nicht Epiker, noch Historiker.

Dann aber wird es doch was, mit der Poesie, und ich hab nicht bereut, durchzuhalten. Nach zwei Dritteln heben sich die Charaktere ab vom Papier, findet sich Berührendes, ja endlich Wärmendes. Man hält es nicht aus, nur mit bösen Charakteren zu tun zu haben. Man braucht auch ein wenig wirkliche Liebe und Mitmenschlichkeit. Sogar in der Literatur. Sonst klebt sie so am Blatt, kalt, eindimensional, distanziert.

Die Sprache ist nämlich eigenartig, und ist sich in der Übertragung offenbar nicht sicher, ob sie zu 1920, 1950 oder 1990 oder gar dem Heute gehört. Was sicher viel beiträgt zu dem Gefühl, manchmal nicht recht zu wissen, was das alles soll.

Aber die Metapher, als welcher sich erst am Schluß der Titel entpuppt, ist schön und geht auf wie das Eis auf der Donau in der Batschka, im Süden Ungarns, wo es sich mit dem heutigen Kroatien und Rumänien trifft: Winterlamm, das im Winter geborene Lamm. Es ist gefährdet, zu erfrieren, und manche überleben auch nicht. Aber die, die überleben - die sind nie mehr unterzukriegen, die tanzen, auch wenn alle anderen schon darniederliegen oder sich längst davonmachen.

So entpuppt sich auch die Form dieses Romanes als interessantes Spiel mit Erzählenem, wodurch die reine Linearität gefühlsmäßig beim Lesen verschwimmt. Trotz allem Informationsgehalt über historische Vorgänge, die der Roman letztendlich denn doch auch bietet, wird das Buch so zu einem schönen Stück zeitenthobener Literatur des Überlebens inmitten so vieler Wirren. Man begreift auch, wie sehr das Aufkommen der Häßlichkeit und Bosheit der Menschen, der Nächsten, von der Doktrine abhängt, die ausgegeben wird. Wie sehr Ideologie und ihre Forderung nach Umgestaltung der Menschen "da unten" die Menschlichkeit erstickt, dem Leben alles Lebenswerte raubt, und die Elite niedriger Systemdiener hochspült.

Die Helden des Romans haben es durchgetragen, unbewußt gar, aber es hat überlebt: das Schöne, das Lebenswerte. Auch durch den Lehrer: "Eines Dichters Instrument ist die Sprache, und wer das zu sein sich entschließt, der darf nur noch sehr schön schreiben. Und er muß sehr schön leben."



*190910*