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Mittwoch, 22. September 2010

Der Grundimpuls

Manch einer übersieht gerne, welche Rolle in der Demokratie der Antrieb spielt, es durch die Abstimmungsvorgänge nach oben zu schaffen, es zu schaffen, zu herrschen, Macht auszuüben. Ja ihr ganzes Geheimnis ist ja nichts als die Machtverteilung, in der man sich vor einem Zukurzgekommensein zu schützen meint.

Den Gedanken entnehme ich einer Notiz von Max Weber, der beileibe nichts von Demokratie in dem Sinne hielt, als er meinte, durch sie würden die votierenden Massen edler Taten und vernünftiger Entscheidungen ertüchtigt werden. Weber hoffte, daß durch sie eine Blutauffrischung der blutleer gewordenen Eliten geschehen könnte. Er hoffte, daß sich wirkliche Staatsmänner auf diese Weise einen Weg nach oben erkämpften konnten, den ihnen die erstarrten Patriziersysteme versperrten. Männer wie Bismarck und Gladstone und Cromwell, wie später Franklin D. Roosevelt, John F. Kennedy und Charles de Gaulle - allesamt strotzend vor Machtlust, allesamt sturmerprobt und in Wahlkämpfen gehärtet.

Endlich wieder Ausweg aus der Langeweile, die angesichts der Bürokraten, die überall herrschten, die Völker befallen hatte. Weber war Liberalist, und er wußte, daß Demokratie in Unterdrückung der miesesten Sorte mündete, wenn sie nicht von gehörigem Liberalismus durchmischt war. Deshalb baute er auch (in der Weimarer Verfassung) vor, und schuf als Gegengewicht einen starken Präsidenten, verquickte es mit dem Plebiszit - die alte Königsidee im Grunde.

Man sagt heute gerne, daß diese starke Präsidentenposition das Desaster von 1933ff ausgelöst hätte. Hindenburgs Position wäre zu stark gewesen, und damit hätte eine Fehlkonstruktion Hitler ermöglicht. Man sagt aber nicht, schreibt Gerhard Nebel, daß es vielleicht einfach zu schwache, charismalose Politiker gab. Und Webers Idee völlig richtig war.

Charisma, wie es Hitler zweifellos hatte, und wie es Hindenburg hatte, dem es Deutschland zu verdanken hatte, daß Hitler so lange von der Macht ferngehalten wurde - bis Hindenburg einfach zu senil geworden und überlebt war. Charisma? Immerhin, so Nebel, handelt es sich auch hier um einen Einbruch der Transzendenz, sei es himmlischer, sei es teuflischer Mächte, und es ist eine Kategorie, wie sie zu allen Zeiten im Königtum ihre Entsprechung hatte, sohin in jedem Volk, in jedem Menschen selbst eine Antwort hat, ob man das will oder nicht. Auf jeden Fall ist es verkehrt und lächerlich, es zu einer psychologischen Qualität zu verkrüppeln.

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So könnte einer heute wie aus der Geschichte den Eindruck gewinnen, die Demokratie sei zu einer Veranstaltung charismenloser, von Ideologien gesteuerter Langeweiler degeneriert, die sich vorsorglich zu einer Abwehrgemeinschaft zusammenschlössen, um dem Charismatiker, dem Exzellenten, keine Chance zu lassen, sie zu übertreffen. Worauf sie wieder jener unteren Ordnung anheimfielen, der sie ja eigentlich angehören.



*220910*