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Samstag, 20. November 2010

Abfahrt zur Hölle

Mit dem Auftrag, eine SS-Totenkopf-Truppe zu schaffen, den Himmler 1933 an Eicke gab, wurde  einer Psychodynamik Raum gegeben, die sehr viel allgemein Gültiges enthält und illustriert, dabei aber in ihrer dämonischen Perfektion von keinem Menschen ausgedacht war, sondern aus einer Reihe von "Zufällen" erwuchs:

Eicke erhielt nämlich keinerlei finanzielle Mittel, um diese Elitetruppe zu bilden, er mußte sie gänzlich selbst finanzieren. Und er schaffte dies durch den Zusammenfall mit dem Röhm-Putsch, der der SA nicht nur ihre politische Bedeutung nahm, sondern auch: die Konzentrationslager. Diese Lager wurden die Ausbildungsstätten der SS-Totenkopf-Verbände, und die Ausbeutung der Lagerinsassen zum wirtschaftlichen Konzept. Eicke bewältige die Aufgabe also "glänzend".

Das Personal selber rekrutierte Eicke aus den Zu-kurz-Gekommenen, und dazu gehörten auch sehr viele Österreicher, die überproportional vertreten waren, aber auch Zuwanderer, "Ideologieflüchtlinge" aus dem Balkan oder aus dem Baltikum. Menschen, und Heimatlose, die jeden sozialen Halt unter den Füßen verloren hatten. Zu diesen Fremdenlegionären kamen später vorwiegend Soldaten, die von der Front genug hatten, sich drückten (die SS-Verwendungstruppen hatten horrende Verluste), oder ausreichende Grausamkeitserfahrungen gemacht hatten - also wieder die Schlechtesten.

(Nicht viel anders wurde ein Gutteil von SD und Gestapo besetzt, deren "Treue" und "Verschworenheit" häufig durch Straftaten "bewiesen"  bzw. durch ausreichende soziale Deklassiertheit "gesund unterbaut" wurde - sie sollten "keinen Rückweg" mehr haben. Denn: sogar die Bezahlung in den unteren Dienststellen war miserabel. Es ging aber nicht um gesund urteilenden Verstand, sondern um Gesinnungstüchtigkeit und Exekutivtreue. Kogon schreibt, daß deshalb sogar die wirklichen Idealisten, selten aber doch auch sittlich höherstehend, wenn auch irregeleitet, bald die Augen nicht mehr verschließen konnten, oft genug verzweifelten, oder gar den Tod suchten. 1944, meint Kogon, gab es ganz sicher keinen wirklich überzeugten SS-Idealisten mehr an der Front.)

Sie, die oft genug alle Achtung vorenthalten bekommen hatten, lernten, daß der Dienst, dem sie allen Aufstieg, alle Achtung, allen Respekt verdankten, das Niedertreten des eigenen Gewissens (das freilich nie wirklich zum Schweigen zu bringen ist, weil es eine Gesamtwirkung der Seinsbewegungen ist) verlangte - konkret als "Überwinden des Inneren Schweinehundes" irreleitend mißdeutet. Die eigentliche Gewissenstimme wurde so zum wirklichen Feind, der sie von ihrem Leben als Helden, denen das Glück des Reiches, der Gemeinschaft, auf besondere Weise überantwortet war, abzuhalten versuchte.

Diese nunmehr besonders eingeschworene Menschen also trafen nun in den Lagern auf exakt jene, die der Mythus, dem die SS-Männer sich unbedingt verschworen hatten, als die Schuldigen genau an ihrer Lage identifizierte, oder mit "Verlierern" (Zigeuner, Homosexuelle, etc.), denen gegenüber sie sich nun profilieren konnten, denn sie hatten es "geschafft".

Dazu kam noch, daß viele Mitglieder dieser Verwendungstruppen genau jenen Idealen gar nicht entsprachen, die sie zu erkämpfen oder zu verteidigen vorgaben - überdurchschnittlich viele waren z. B. unehelich (damals noch weithin ein Makel) geboren und aufgewachsen, also ohne diese langen, arischen Stammbäume. Was den Ehrgeiz weiter anfachte, umso hochprozentiger zu entsprechen. Überdurchschnittlich waren ferner soziale Gruppen wie Studienabbrecher oder gescheiterte Volksschullehrer (sic!) vertreten, die sich durch besondere Überheblichkeit ob ihrer "Intellektualität" auszeichneten.

Und das mit dem dunkelen seelischen Untergrund des schlechten Gewissens, das nach Entlastung schrie.

Und unter anderem zu einem seltsamen Belobigungssystem führte: der Kommandant von Buchenwald, Koch, sagte in Nürnberg aus, daß er immer nur belobigt, in höchsten Tönen gepriesen, nie auch nur geprüft worden war. Was immer er auch vorschlug - es wurde umgesetzt. Bis er größenwahnsinnig wurde.

Sich mit dieser SS auseinanderzusetzen ist die verblüffend klare Auseinandersetzung mit dem Problem und der Psychologie der Minderwertigkeitsgefühle.

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(Sonst war die SS als "Eliteverein" und damit oft anders gelagert, schreibt Eugen Kogon in "Der SS-Staat - Das System der Konzentrationslager", diesem schrecklichen Buch, das jahrzehntelang gar nicht mehr aufgelegt wurde, weil man nicht weiß, wie man mit solchem Schrecken, von dem man hier liest, umgehen soll. Viele , schreibt Kogon, zahlten auch lediglich ihre Mitgliedsbeiträge, um sich der Allgemeinen SS als Karriereleiter zu bedienen - und fanden sich nicht selten wider alle Absicht ab 1939 mitten im Verhängnis, an dem "die SS" beteiligt war. Die zudem von ihrer Art her selektiv-elitär wirkte. Schon die Notwendigkeit, sich die SS-Uniform auf eigene Kosten maßschneidern! zu lassen schuf Abstand.)

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