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Donnerstag, 23. Dezember 2010

Autochthone, doch identische Hervorbringungen

Das kollektive Unterbewußte, schreibt C. G. Jung an einer Stelle, beweist sich in zwei Dingen:

Zum einen darin, als jeder Einzelne in seinem Erleben die seelische Erfahrung eines Numinosum (die vielleicht schönste Erklärung für dieses Wort: "Gott zwinkert Dir zu!"; Rudolf Otto erklärt es als: "Die Idee vom Heiligen") macht bzw. machen kann, mit dem er nicht nur konfrontiert wird, sondern das ihn überwältigt. Der Mensch ist also eher Opfer als Schöpfer dieser Transzendenzerfahrung.

Zum zweiten läßt sich zeigen, daß diese inneren seelischen Gestimmtheiten und Erfahrungen weltweit (!) ähnliche, wenn nicht gleiche Darstellungsformen finden und gefunden haben. Und zwar ohne daß direkter bewußter, gegenständlicher Austausch stattgefunden hätte. Es handelt sich also hier um eine autochthone Wiedererzeugung von dargestellten Wahrheiten, die nicht aus bewußter Bilderentstehung stammen können.

Solche "Mythologeme" sind also in den Strukturen jeder menschlichen Psyche eingeschlossen. Sie stellen Konstanten dar, die sich über alle Zeiten und an allen Orten  relativ identisch ausdrücken.

Weil sich aber in diese Gestaltgebung psychische, bewußte, zeitbedingte Strömungen gleichfalls einmischen, ist die Erfahrung des Numinosums OHNE Prozeß der Wahrheitsfindung kein Kriterium für Wahrheit oder als bloß psychogene, rein subjektiv-unklare Herkunft dieser Erfahrung.

Die Ostkirche hat deshalb übrigens diese Erfahrungen als Aussagequelle über Gott und die Welt des Heiligen nie zugelassen. Und auch die westliche christliche Mystik ist nie ohne klare und scharf prüfende Prozesse - des "advocatus diaboli" - ausgekommen. Gerade angesichts der Macht der Erfahrung ist die Täuschungsmöglichkeit zu groß. Und dort lag ja auch das Problem des Judentums mit dem Chassidimismus.


Das größte Problem sieht Jung - aus genau den genannten Gründen - deshalb in der Einflußnahme des Kollektivs, in der Masse. Hier sieht er die größten Gefahren auf die Menschen zukommen, weit noch vor allen konkreten Bedrohungen wie Hunger oder Krieg. Denn in diesen kollektiven Wirkungen finden sich völlig unberechenbare Mächte und Antriebe, die die Grenzen des Bewußten - die durch verbale, bewußte Argumente etc. nicht beeinflußbar sind - spielend überschwemmen.  Damit steht die Welt unter völlig unberechenbarem Risiko. (Jung schreib das übrigens in den 1930er Jahren - seine Prophezeiung hat sich sehr rasch erfüllt. Aber: sie muß nach wie vor aufrecht bleiben. Jung beschreibt ein generelles menschliches, kein einmaliges historisches Problem.)

Das einzige, was den Menschen fundamental erkennen läßt, bräuchte deshalb die Natur einer personalen Erfahrung als Begegnung mit der Wahrheit - und Wahrheit hat personale, nicht "nur logische" (wenn auch nie unlogische) Struktur - als Quelle der Erkenntnis.

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