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Freitag, 17. Dezember 2010

Ein lokales Rechtsgut

Sudan. Eine Frau wird öffentlich ausgepeitscht. Sie habe eine Hose getragen.

Ob aber das, was man auf den Bildern sieht, die Empörung rechtfertigt, die angeblich weltweit herrscht? Zeigen die Aufnahmen nicht eher etwas anderes: ein Maß, wie es unter normalen Menschen eben herrscht? Ja, meinetwegen, das auch einmal überzogen wird (was hier aber doch nicht zu sehen ist? Nur, weil die Frau schreit?)

Wer die alten Rechtsgüter studiert, die bei uns und noch bis vor oft wenigen Jahrzehnten herrschten, und wo z. B. Prügel in der einen oder anderen Form, auch in Öffentlichkeitsrahmen, die keineswegs immer die große Gerichtsbarkeit bemühte, die auch durchaus und nicht selten den Charakter einer Abreibung hatten, kann - Sharia hin, Sharia her - das Extrem, das hier sein soll, vielleicht nicht finden. Im Gegenteil, das Wegräumen gerade aller dieser kleinen Regulative, mit allen menschlichen Ungenauigkeiten, die aber auch genau alle diese menschlichen Ungenauigkeiten geregelt haben und regeln müssen, hat enormes Leid bewirkt, dies wage ich zu behaupten. Nun wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen, oder überhaupt nicht mehr geschossen. Das menschliche Maß ist verloren. Das Leben der Menschen aber ist voll mit Ungenauigkeiten, die nun nicht mehr prompt und unmittelbar zu regeln sind, bis es überall und ständig zum großen Finale kommt.

Und so scheint es auch in diesem Fall um lokales, eben diese Zwischenmenschlichkeit direkt und handfest regelndes Rechtsgut zu gehen. Das man nicht aushebeln sollte. Was geht es uns an, wenn das Tragen einer Hose dort als Vergehen empfunden wird? Es ist eine Äußerung, auf jeden Fall, so wie alles, was man tut. Jedes Rechtssystem basiert eben auf einem (immer lokalen) Rechtsempfinden, auch die Sharia. Aber bei weitem nicht immer ist unsere ameriko-europäisches Rechtsempfinden zu bevorzugen. In jedem Fall ist es spezifisch, und es ist in den meisten Fällen nicht einmal als Gedankenspiel einzusehen, warum es in die ganze Welt exportiert werden soll.

Wo ein Rechtssystem nicht mehr mit dem lokalen Rechtsempfinden übereinstimmt, bricht es aber zusammen, wird bestenfalls noch, in der Endphase, zu einem immer sinnloseren, von Gerechtigkeit abgekoppelten Spiel von Regelungen und Ablauflogik. (Die Proteste beziehen sich angeblich oder auch auf die "falsche" Tortur: der die Strafe Ausführende habe die Frau auch ins Gesicht und auf die Hände geschlagen, das aber sei verboten.) Und das, bitte schön, ist in Europa, jawohl, hier, nicht woanders, längst erreicht. Wir wollen es nur immer noch nicht zur Kenntnis nehmen, noch sind die Stimmen - "zufällig" findet sich im heutigen Blog eine solche, in Form eines englischen Politikers, der genau das konstatiert - selten und außergewöhnlich.

Aber was ist mit der Rettung des Abendlandes? Was ist mit dem Anti-Islamismus, als rettenden Impuls, als Gebot der Stunde? Wenn das heißt, daß Europa mit demselben Fanatismus reagiert, der uns allenthalben in islamischen Ländern begegnet, läuft etwas schief. Sich selbst und sein Empfinden, seine konkreten Lebensbedingungen und -ziele zu verabsolutieren, das ist Fanatismus. Und schon gar nicht kann es heißen, den faktischen Ist-Zustand Europas auf Biegen und Brechen zu verteidigen, und zum Beispiel im Feminismus ein "Gut" zu verteidigen, das in Wahrheit unsere Krankheit zum Tode darstellt.



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