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Freitag, 18. Februar 2011

Nie mehr alleine

Es war ja nur eine Frage der Zeit, nun ist das erste Handy am Markt, das "rund um Facebook" gebaut ist. Damit ist der ununterbrochene Update-Status, die pausenlose Online-Verfügbarkeit und -aktualität endlich gewährleistet.  Panta rei - alles ist ständig im Fluß, alles auf "standby", nichts muß mehr entschieden werden, alles entscheidet sich von Moment zu Moment wie von Geisterhand von selbst.

Identität ist eine Frage des Gedächtnisses und der Spannkraft - in der Persönlichkeit - die Bezüge dieser Identität zu wahren. Facebook ist wie eine Auslagerung dessen, was Persönlichkeit und Identität überhaupt ausmacht: die Verabschiedung einer existenznotwendigen Fähigkeit, dem Aufbau eines Gedächtnisses, dem Aufbau einer Vergangenheit. Schon das Handy alleine hat - völlig unerschätzt! - Schaden katastrophischen Ausmaßes angerichtet - dieser Schaden wird nun auf die Spitze getrieben. Facebook wird eine neue Generation nie vorstellbarer Abhängigkeit schaffen: der Mensch sinkt zur materia prima herab, seine Form steckt in 7 x 12 cm akkubetriebenen Elektronikboxen, online mit einem Zentralcomputer am Leben gehalten, Spielwiese - man muß es sagen - des Bösen, denn es gibt kein Gut ohne Sein, zernichtet. Das Wesen des Dämonischen wird hier faßbar, wo diese Idee zur beherrschenden Macht wird, ein eigenes Leben beginnt, zum Dämon wird.

Als Entsprechung und Verlängerung dessen, was seit Jahrzehnten betrieben wird - die Auslöschung, die Umdeutung der Vergangenheit, deren Enteignung durch Lüge und Ideologie. Damit ist die Gegenwart wirklichkeits- und wertlos geworden, weil sie keine Vergangenheit mehr zu setzen vermag, wird das Sein durch den Dämon ersetzt.

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"Wer seine Vergangenheit nicht kennt," sagte Keimo, "hat keine Macht über sich. Er findet nie zum eigenen Handeln, sondern bleibt allem Begegnenden ausgeliefert. Seine einzige Chance zu überleben besteht darin, positivistisch Identitäten zu behaupten. Diesen Zustand gibt es natürlich auch graduell, in Teilen. Aber wer keine Vergangenheit hat, findet zu keiner Legitimität des Handelns. Er findet damit keine Gewissensentlastung. Er ..." 
Keimo schluckte, als erzählte er von sich, dachte Lina, er erzählt von sich, das wurde ihr jetzt klar! 
"Er?"
"Er kann nicht leben. Er kann nicht ... er ist immer alleine, verstehst Du?"
Lena legte die Arme um ihn. Sein Haar ist so strohig, dachte sie, richtig strohig.

Matti Haugasmäki in "Gen Westen, Kamerad Guckmal!"

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