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Montag, 14. März 2011

Theater der Liturgie

Alle Rechte - Die Presse
Kardinal EB Schönborn im Gespräch mit Joachim Meierhoff über das Theater der Liturgie in der Presse. Mit lesenswerten Aussagen, die auch von dieser Seite die absolut gemeinsame Quelle von darstellender Kunst und Liturgie bestätigt. Und erstaunlich umfassend die ungemein gleiche Erfahrungswelt des Künstlers und des Priesters beschreibt.

Ich wollte nicht viel kürzen, weil auch die da und dort etwas umständlichere Aussagenfindung dazugehört.

Meierhoff: Beschreiben Sie einmal, was ist eine schlechte Vorstellung für Sie? Schönborn: Ich sage, was eine gute Vorstellung ist. Die Liturgie ist ja ein Ganzes. Die Liturgie ist dann eine gute gewesen, wenn die Spannung nicht wegbricht.
Die Liturgie ist als Ritual dadurch, dass es jedes Mal wieder den Gehalt finden muss, tatsächlich gefährdet wegzubrechen?
Ja.
Und dann wird sie ein hohles Ritual?
Sie bleibt immer ein erfülltes Ritual, weil im Unterschied zum Theater in der Liturgie das Sakrament da ist. Das heißt, was gespielt wird, ist auch wirklich da. Aber wenn das Spiel schlecht ist, wenn die Akteure zum Beispiel innerlich einfach nicht dabei sind, wenn sie hohl sind, wenn die Gesten mechanisch sind, dann ist der glühende Kern oft wirklich nur mehr mit dem nackten Glauben zu fassen - gegen alle äußere Trockenheit.
Das ist eine sehr gute Beschreibung einer schlechten Theateraufführung. Wenn es hohle Gesten werden, der glühende Kern nicht da ist, die Beseelung nicht stattfindet, dann gibt es bei uns, da haben Sie wahrscheinlich recht, nicht einmal die Hostie, in der sich noch für sich etwas verbirgt.
Und das Spannende in der Liturgie ist eben, dass der Teilnehmer trotz der schlechten Performance der Akteure und der Hohlheit ihrer Gesten und ihrer Worte zu dem glühenden Kern durchstoßen kann, weil der real da ist.
Aber vielleicht ist das genau das Risiko. Weil das im Zentrum real da ist, gerät man drumherum in die Hohlheit. Weil man weiß, dass das Zentrum, wenn man denn glaubt, intakt ist.
Sie können sich im Theater viel weniger leisten, dass die Akteure nachlässig werden. Natürlich merken auch wir, wenn das Publikum wegbleibt. Das hat etwas mit dem eigenen Versagen zu tun.
Für mich hat es ganz stark mit der Sprache zu tun, der Text ist oft schlecht.
Ja.
Wenn wieder einmal über Licht und Dunkel gesprochen wird, habe ich das Gefühl, dass man in diesen relativ einfachen lyrischen Metaphern doch irgendwie unterbedient wird.
Es gibt eine Erfahrung bei der Predigt, die kennen Sie vom Theater auch, wenn die Stille dicht wird.
Natürlich. Das sind große Momente.
Wenn sozusagen atemlose Stille da ist, dann merkt man, dass das Wort getroffen hat, man merkt aber auch, dass einem eine Verantwortung in die Hand gegeben ist, mit der man nicht leichtfertig umgehen darf.
Wenn ich eine schlechte Vorstellung spiele, dann kommt danach der Regisseur und benennt das. Und dann wird er sich die nächste Vorstellung ansehen und kontrollieren, ob ich das versuche anders zu machen. Wie ist Ihr Zugriff?
Gering.
Sehr gering?
Zu gering. Es fehlen die Kontrolle, das Feedback. Manchmal trauen sich die Gläubigen, das zu benennen. Aber es wird viel zu selten gemacht. Wir arbeiten deshalb jetzt mit allen Akteuren der Liturgie - nicht nur den Priestern, sondern den vielen anderen Akteuren wie etwa Lektoren - an einer Erhöhung der Professionalität. Das braucht es einfach.
Haben Sie das Gefühl, das wird zu laienhaft gemacht?
Zu wenig liebevoll den Empfängern gegenüber. Wenn ich eine Wertschätzung für das Publikum habe - in diesem Fall für die Teilnehmer an der Liturgie -, dann wird es mir ein ganz großes Anliegen sein, dass der Dienst, den ich in dem Schauspiel mache, dass der wirklich beseelt ist, dass der gut wird.
Das Wort „beseelt" hat bei uns im Theater wirklich auch eine große Bedeutung. Es ist entscheidend, dass die Dinge beseelt sind. Das trauen Sie sich zu sagen?
Das traue ich mir sofort zu sagen. Wenn ich will, dass etwas sprachlich und physisch und intellektuell durchdrungen ist, würde ich da den Gesamtbegriff der „Beseeltheit" wählen, ich würde sagen, dass eine Rolle dann beseelt ist.
[...] Das Stück, das wir aufführen, spielen wir seit 2000 Jahren, und im Durchschnitt ist der Publikumserfolg nicht nachlassend. Das kriegt kein Theater zustande.
Oh doch! Wir spielen doch Stücke, die sind auch so alt.
Ja, aber nicht jeden Tag und an so vielen Spielorten.
[...] Ich würde zuerst einmal sagen, ich repräsentiere etwas, was Sie nicht unbedingt als Schauspieler repräsentieren. Sie haben eine Rolle, aber ich habe eine Repräsentation. Ich war in Sri Lanka in einem kleinen Bergdorf bei ganz armen Teeplantagenarbeitern. Die hatten ungeheure Vorbereitungen gemacht, es war das erste Mal, dass ein Kardinal in dieses Dorf gekommen ist. Als wir zur kleinen Dorfkirche kamen, flüsterte der alte Jesuit, der Pfarrer dort, ein großartiger Mann, mir ins Ohr: „Glauben Sie nicht, dass die Leute das für den Christoph Schönborn gemacht haben, das haben sie für Jesus Christus gemacht." Der sagte: Nimm es nicht zu persönlich.
Ja, nimm es nicht persönlich. Du repräsentierst für diese Menschen Jesus Christus. Und darum haben sie diesen unglaublichen Aufwand betrieben.
Ich merke, dass wir am Theater durchaus aus dem christlichen Kontext entliehene Worte verwenden: Das hat mit Demut zu tun, gegenüber einer Rolle, einer großen, fantastischen Rolle.
Ja, diese Rolle, diese Repräsentationsrolle, erfordert Demut. Aber es gibt dann ja auch die Zeit, wenn ich zum Beispiel bei meiner Familie einfach der Christoph bin. Oder auch im Kreis von Freunden.
Und haben Sie dann das Gefühl, es ändert sich für Sie auch etwas?
Ich erlebe mich selber durchaus in meiner Repräsentation als so unzulänglich gegenüber dem, den ich repräsentiere, dass es mir nicht allzu schwerfällt, in die Alltäglichkeit meiner selbst zurückzukehren.
Empfinden Sie das als Belastung? Die dann abfällt - jetzt kann ich wieder nur ich sein. Es muss ja anstrengend sein, 24 Stunden am Tag Jesus Christus zu repräsentieren.
Ja und nein. Es ist natürlich auch etwas Berührendes, wenn man sich bewusst bleibt, dass es wirklich Repräsentation ist. Mir hat Nixons früherer Finanzminister einmal gesagt: „Das große Elend ist, wenn Repräsentanten ihre Repräsentation mit ihrer Person verwechseln."


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