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Dienstag, 22. März 2011

Verklärte Kindheit

Sehr richtig und schön zieht Jean Paul einmal Parallelen zwischen der poetischen Landschaft des Dichters, und der erinnerten Landschaft (als Topos, nicht als gegenständliche Festlegung) - und ersteres stammt ja wohl aus letzterem. Denn jedes Schaffen der Phantasie ist ja ein Zusammenstellen von Erinnertem, insofern eine Tätigkeit des Herzens.

Aber dem Schauen als Kind eignet das Ahnen des Unendlichen, in das alle Dinge an ihren Rändern übergehen. Dort liegt eine "magische Dunkelheit", wie Jean Paul es nennt. Damit bleiben die Dinge ganz, bleiben unberührt und eingebunden in den gesamten Kosmos.

Die erwachsene Erinnerung hingeben schneidet und reduziert aus diesem Erinnerten Einzelnes heraus, ja die Dinge werden gar nicht mehr ihrer selbst erinnert, sondern einzelner Bezüge wegen - es bleiben ja allen nur die Bezüge, letztlich. Darin liegt der Unterschied.

Der erwachsene Mensch ist in diesen bereits ausgewählter, zumindest bestimmter, denn ist die Bestimmtheit eingeschränkt (aus Irrtum, aus verkleinerndem Interesse), und das ist sie praktisch immer, wird es auch sein Erinnertes weil sein Erleben.

Wird sie unbestimmt, verliert sie sich überhaupt, weil der Mensch in den Irrsinn fällt. Dem Menschen bleibt nur der Weg durchs Bestimmte. Also muß er zu jenem Bestimmten finden, das alles umfaßt. Die Wahl, gar nicht zu bestimmen, bleibt ihm ja gar nicht.

Vor allem das Häßliche, als Gesicht des Schlechten, des Bösen, das den Menschen im Laufe seines Lebens, vor allem je mehr er in die Welt hinaustritt, sich in ihr behaupten muß, und das muß er eben, das Häßliche ist es, das ihn je seine Offenheit einschränken läßt, aus notwendiger Vernunft. Und damit verliert ihm gerne die Welt ihre Poesie, ihre Offenheit ins Unendliche hinein.

Also bleibt ihm nur die Erinnerung an die Kindheit.

"Das Idealische in der Poesie ist nichts anders als diese vorgespiegelte Unendlichkeit; ohne diese Unendlichkeit gibt die Poesie nur platte abgefärbte Schieferabdrücke, aber keine Blumenstücke der hohen Natur. Folglich muß alle Poesie idealisieren: die Teile müssen wirklich, aber das Ganze idealisch sein. Die richtigste Beschreibung einer Gegend gehöret darum noch in keinen Musenalmanach, sondern mehr in ein Flurbuch - ein Protokoll ist darum noch keine Szene aus einem Lustspiel - die Nachahmung der Natur ist noch keine Dichtkunst, weil die Kopie nicht mehr enthalten kann als das Urbild.

Die Poesie ist eigentlich dramatisch, schreibt Jean Paul weiter, und malt Empfindungen, fremde oder eigene. 

"Das übrige - die Bilder, der Flug, der Wohlklang, die Nachahmung der Natur - diese Dinge sind nur die Reißkohlen, Malerschatullen und Gerüste zu jener Malerei. Diese Werkzeuge verhalten sich zur Poesie wie der Generalbaß oder die Harmonie zur Melodie, wie das Kolorit zur Zeichnung."

Quantitäten sind endlich, wir erhalten von ihnen durch Äußeres Nachricht. Qualitäten aber sind unendlich. Von ihnen erhalten wir nur durch innere Sinne Kenntnis.

Geister und ihr Äußerungen stellen sich in unserm Innern ebenso grenzenlos als dunkel dar. "Mithin muß das in uns geworfene Sonnenbild, das wir uns vom Dichter machen, vergrößert, vervielfältigt und schimmernd in den Wellen zittern, die er selber in uns zusammentrieb."

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