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Montag, 25. April 2011

Stoa der Geringschätzung

Den Hinweis habe ich Hugo von Hofmannsthals Aufzeichnungen entnommen, und ich bin selten so froh gewesen, einer Literaturempfehlung gefolgt zu sein, denn die Japan-Bücher von Lafcadio Hearn sind nicht nur ein Genuß zu lesen, sondern - wobei das wohl zusammenhängt - sie geben binnen kurzem das Gefühl, dieses Volk, ja ein Volk überhaupt verstehen zu können. Gerade sogar in dieser Rätselhaftigkeit, wie es beim japanischen Volk der Fall ist.  Dabei ist Hearn ganz gewiß kein Psychologist! Er versteht einfach, er deutet, er versucht zu begreifen. Und aus diesem Begreifen heraus schreibt er. Weshalb es verwunderlich ist, daß seine Bücher nicht mehr verlegt werden, gerade jetzt. Ich habe keinen einzigen Fernsehkommentar gehört, oder einen Kommentar in Zeitungen gelesen, der auch nur annähernd dieses Land und sein Volk so begreifen hat lassen, wie es Hearn mühlos gelingt.

Der gebürtige Iro-Grieche, der im 19. Jhd., zur Wende des 20., so lange nach einem Platz auf dieser Welt gesucht hat, bis er ihn in Japan fand, zeigt in seinen Büchern verblüffende geistes- und kulturgeschichtliche Zusammenhänge, zeigt ihre Evidenz aus Verhaltensweisen und Sitten, und zuweilen spekuliert er, und alles tut er inspirierend. Zum Beispiel, wenn er die Bauweise japanischer Häuser - im besonderen den durchhängenden Giebel - als unbewußten Anklang an ihre vermutlichen Ursprünge als Steppen- und Nomadenvolk deutet.

Sicher recht hat er in der Zurückführung des fehlenden Begriffs für Dauerhaftigkeit auf die Überlagerung des Buddhismus, der zumindest eine Anlange (die mit der Nomadenherkunft zusammenhängen sollte) verstärkt hat. Was sich überall ablesen läßt, wo der Buddhismus dominiert.

Denn in ihm zählt das Irdische nichts, im Gegenteil ist es zu überwinden, letztlich aufzulösen. Auch wenn das die breiten Volksmassen (und das ist nicht verwunderlich) nicht nachvollziehen können - der Buddhismus ist nie wirklich eine Volksreligion geworden, sondern überlagert immer mehr oder weniger urtümliche Naturreligionen.

Aus dieser Disposition heraus ist der Japaner notorisch "flüchtig". Er reist enorm viel - und das dürfte sich bis heute nicht geändert haben -  und alles, was er tut, ist nicht auf Dauerhaftigkeit ausgelegt. Er ist gewöhnt, Dinge zu verlieren, er ist gewöhnt, sie nicht hoch zu bewerten, er ist gewöhnt, sie flüchtig und aus nicht dauerhaften Materialien anzufertigen. Viele seiner Dinge des Alltags waren seit je Wegwerfprodukte, sei es Kleidung, oder seien es simple Eßstäbchen.

Das einzige, das ihm Dauer hat, sind die Gräber, die Geister der Ahnen, und die Götter (die unter der Schichte aus Buddhismus ruhen). Obwohl er auch die Tempel immer wieder abreißt und erneuert. Aber in diesem Land, schreibt Hearn, ändert sich ohnehin alles - selbst die Berge durch Vulkanismus, die Meeresküsten durch Wellen und Erdbeben, die Täler, Flüsse und Seen durch Erdrutsche und Erosion.

So aber lassen sich die aktuellen Fernsehbilder verstehen, die die Japaner inmitten dieser gewaltigen Katastrophen als sehr gefaßt übermitteln. Es ist weniger Disziplin, es ist diese buddhistische Gleichgültigkeit, die tief in ihren Seelen steckt, und die zuweilen mit ihrem einfach menschlichen (das gebliebenen) Fühlen streitet. Diese 100, 150 Jahre Zivilisation nach westlichem Muster haben das ganz sicher nicht ändern können.

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