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Montag, 23. Mai 2011

Warum diesen Staat?

Das scheinbare Teilproblem ist das Grundproblem der heutigen Staaten, und es ist fast amüsant, wie sich seit der Aufklärung sämtliche Staatsphilosopien um das ungelöste Problem herumwinden wie grüner Wein: wenn ein Staat eine mehr oder weniger durch Vertrag übereingekommene menschliche Gesellschaft ist, um so der Vernunft zur Herrschaft zu helfen - mit Abschattierungen, Nuancen, wie und was Vernunft denn sei etc. - weil der Staat diese Vernunft garantiere, zu der sich die Menschen ohne ihn nicht bereitfänden, sodaß dies also die Legitimation des Staates ist, so stellt sich die Frage, WAS im vorstaatlichen Zustand die Menschen dazu brachte, sich überhaupt für die Vernunft zu entscheiden, und einen Staat zu vereinbaren. Denn dann scheint es ja auch eine außerstaatliche, nichtkünstliche Ordnung zu geben, auf der Grundlage einer (natürlichen) Vernunft?

Also werden Gründe gesucht, und sie sind - weil das Naturgesetz vermieden werden soll - immer utilitaristischer Art. Locke, zum Beispiel, meint, daß das, was die Menschen dazu bringt, sich zum Staat zusammenzuschließen, wirtschaftliche Interessen sind: die Arbeit, und die durch sie mögliche Eigentumskumulierung. Es gibt also keine naturrechtlichen, aber auch keine bloß positivistischen Gründe, einen Staat zu gründen, sondern: ökonomische.
Der Staat hat nichts zu tun als die wirtschaftlichen Verhältnisse zu ordnen und zu verwalten! Mit dem kleinen theoretischen Problem, daß die wesentlichsten Wirtschaftsmittel - Geldschaffung, Warenproduktion - ebenfalls vorstaatliche Einrichtungen sind.

Aber damit hat Locke kein Problem, er sagt, daß es in der Natur des Menschen läge, Eigentum zu schaffen, sich (immer mehr) Wohlstand und Wohlsein zu verschaffen. Das was einen Menschen zum Staatsbürger macht, ist sogar noch enger zu fassen: im Landbesitz. Denn aller Wohlstand geht letztlich von dort aus. Wer Land erwirbt, muß also auf jeden Fall Bürger werden und sich binden.

Der Staat hat die wichtige Aufgabe, Verteilungskonflikte zu vermeiden, und zu lösen, indem er das Verteilbare (durch Landerschließung) und die Annehmlichkeiten seiner Bürger (in Kunst und Wissenschaft) steigert.

Souverän selbst ist also das Volk, in aller historischen Relativität seines Willens (als "volonté générale", als Gemeinwille zur öffentlichen Person abstrahiert), und es setzt die Regenten ein. Diese sind lediglich Beamte des Volkes, das sich seine Gesetze damit selber gibt - Ausdruck höchsten Selbstbesitzes und Freiheit. Wer sich weigert, indem der den Staat - der zum Willensausdruck, dem Genralwillen wird - ablehnt, wird zu dieser Freiheit auch gezwungen. Denn der Staat wird sich sogar zum eigenen Richter: er gibt sich die Gesetze, die er vollzieht, und auf die hin er sich kontrolliert.

Die Strafe, so schreibt Hegel einmal, wird damit sogar zur "Ehrung" des Bestraften: denn er hat sich dafür entschieden, indem er die Tat beging. Die Strafe wird so als sein eigenes Recht enthaltend angesehen.

Aber auch Locke kann das Dilemma nicht lösen: daß der Staat zu seiner Entstehung jene Harmonie und jenen Gemeinsinn voraussetzt, die zu errichten er als seine Legitimation behauptet.

Es bleibt eine  nicht begründbare Vorentscheidung, die man im Grunde aus schlichten praktischen Gründen, Gründen eigener Vorlieben (in Wahrheit: Weltanschauungen, Welthaltungen!), einfach zu treffen hat. Er muß bei der heutigen Ausformung von Staat auf eine metaphysische Begründung verzichten. Der Staat legitimiert sich ausschließlich aus seinem Gemeinwillen, nein: aus seinem Gesamtwillen, wie Rousseau differenziert: jenem Wirkvektor, der entsteht, wenn jeder - Vereinigungen müssen deshalb ausgeschlossen bleiben - wirklich seine Meinung vertritt. Daß dieser Wille geeint bleibt, darauf muß eine Regierung achten. Diese Situation wird gesprengt, wenn jeder Bürger aber nur noch seine Sonderinteressen durchsetzen will. Dann zerreißt das Gemeinsame.

Ein demokratischer Staat muß also jede systemgefährdende Partei verbieten oder gar vernichten. Umgekehrt kann auch eine Minderheit den Gemeinwillen vertreten, gegen die offizielle Regierung. (Als Beispiel: die Exilregierungen im 2 Weltkrieg, in Ländern wie Frankreich, die offizielle Regierungen installiert hatten.) Hier kann nur die Geschichte Recht oder Unrecht sprechen. Geschickte Regierung ahnt, was "an der Zeit" ist. Sie braucht deshalb Menschenkenntnis, und Geschichtskenntnis. Und ... Vertrauen, daß alle sich nach den Prinzipien richten, und das Gemeinsame im Blick haben, keine Eigeninteressen. Denn es gibt sonst keine Basis der Legitimität, als den Staat. Ein solcherart zusammengefaßtes Volks wird also immer und in exponentieller Entwicklung zum Mißtrauen tendieren.

Also auch hier!

Es bleibt Mißtrauen, es bleibt gegenseitiges Belauern, ob jemand den Gemeinwillen doch vergißt, und nur noch seinen Eigenwillen durchsetzen will: Angst und Anspruchskonkurrenz beschreibt es Rousseau, sie sind das, was den Staat gefährdet, der diesen jämmerlichen Zustand regeln soll - denn dem harmonischen Naturzustand des Menschen ist er sonst nicht nötig. Er ist also ein Notlösung, die den Egoismus der Menschen halbwegs erträglich halten soll.

Der Grund, der unseren Staat rechtfertigt, ergibt sich erst durch das, was sich aus ihm durch unser faktisches Leben ergibt, wo die Regierenden versuchen, aus den realen Bedingungen das Vernünftigste herauszuholen und den Staat zu steuern. Wohin? Fragen Sie etwas Leichteres.


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