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Sonntag, 15. Mai 2011

Identität als vertikale Eingebundenheit

Konfuzius sieht die Ordnung des Staates, der menschlichen Gesellschaft und Gemeinschaften, keineswegs funktional, sondern aus dem ontischen Erfüllen des Seins als "Vater", "Sohn", "Fürst", "Beamter" etc. in seiner hierarchischen Zuordnung erwächst eine gerechte, friedvolle Gesellschaft im Staat. Eine solche ist ohne Respekt undenkbar, und erwächst aus der sozialen Identität, die sich aus der vertikalen Eingebundenheit ergibt, die alles mit Sinn weil Zusammenhang erfüllt.

Sie funktional zu betrachten wäre aber ein schlimmer Fehler. Solch eine Gesellschaft wäre nicht dauerhaft, sie würde sich nur selbst vortäuschen und Schein bleiben.

Es ist eine Haltung. Solche Hierarchie ist aber nicht einfach eine geschichtlich vorgefundene Lösung - sie ist auch und vor allem eine Aufgabe, ein Paradigma der sinnstiftenden Kraft des Menschen. Im Erfüllen einer Rolle erfolgt ein Hinausgehen über sich, eine Selbsttranszendenz, und so wird menschliche Einheit gestiftet, wird alle Unterschiedlichkeit überwunden.

Eine Gesellschaft ist für den Konfuzianismus durch fünf prinzipielle Beziehungen gestaltet: die des politischen Vertrauens (Herrscher und Minister), die patriarchalische Grundbeziehung (Vater und Sohn), die familiäre Beziehung (Mann und Frau), die Staffelung innerfamiliären Verantwortung (in den Söhnen nach Alter), und die Beziehung freiwillig gewählter Naheverhältnisse (Freundschaften).

Damit, übrigens, wird auch die allen übergeordnete Lebensaufgabe - die Weisheit - allen gleichermaßen zugängig, weil - in aller scheinbaren Unterschiedlichkeit der Rolle - allen dieselbe Aufgabe gestellt ist.

So ergibt sich eine Ethik der ungeheuren Wertschätzung des anderen gerade in seiner Unterschiedlichkeit und Individualität. Ohne ihn würde das Ganze einen Mangel erleiden.

Ins Ganze hebt sich das individuelle ethische Gefühl gerade aus der persönlichen Erfahrung, die ausgeweitet wird: Die eigenen Großeltern werden geliebt, und von ihnen weg überträgt sich die Güte auf alle Alten, usw.

Wem dieses Mitgefühl fehlt, der ist umgekehrt gesehen kein Mensch, denn ihm fehlt das, was den Menschen überhaupt erst ausmacht, das Übertragen eigener geläuterter Erfahrung auf das Allgemeine, die Solidarität. In ihr wird alle Unterschiedlichkeit überwunden, wird Gemeinschaft gehoben, weil wir in Beziehung gesetzt sind zu dem, was allen Rollen (Menschen) Sinn stiftet.

Genau hierin allerdings kehrt sich der Konfuzianismus auf seine ihm eigene Art ins Gegenteil: denn diese Haltung erst legitimiert den Menschen zum Edlen, sie ist eigentlicher Wertmaßstab. Also kann der Fürst, als Beispiel, nur nach außen Fürst sein, aber nicht im "Dao", nicht wirklich also. Dann hat er seine Legitimität verloren.

Dies zeigt die im Innersten voluntaristische Prägung des Konfuzianismus zu einer "Morallehre". Was auch logisch ist, denn ihm fehlt das wirklich eingreifende Element, die Inkarnation, die "Erlösung des Fleisches", die Sakramentalität also. Es bleibt ihm nur die Geistigkeit, zu der er sich aus menschlichem Wollen erhebt. Hier nähert er sich auffallend dem Protestantismus. Auch der kennt ja das Auseinanderreißen von Form und Inhalt, auch bei ihm gibt es "nicht mehr sie selbst seiende Gestalt", bemißt sich alles nach seinem "inneren Rang". Selbst die strenge Pflicht, irdische Hierarchien als Transzendendum anzuerkennen, verbindet diese beiden Anschauungen.

"Der Edle manifestiert sich in seiner Gesinnung und der von ihr getragenen Lehre der Einsicht, daß auch Herrschaft auszuüben eine Rolle einzunehmen bedeutet, auf die der Herrscher verpflichtet ist, und die seine Macht unter Vorbehalt stellt." 

Problematisch ist, schreibt Walter Schweidler in einem Kommentar zu dieser Stelle von Manzu, daß freilich nicht nur der Edle diese Ethik haben könnte. Und tatsächlich hat der Konfuzianismus kein politisches, reales Korrektiv gegen diese Rollenethik gefunden, weshalb er sehr offen blieb für Despotismus.

Interessant auch, daß diese Verwiesenheit auf ein moralisches, geistiges Korrektiv (Dao, goldene Regel, Motive des Himmels) dazu führte, daß chinesische Herrschaft sich traditionell mit Verbeamtung möglicher Kritiker (Intellektuelle, Priester usw.) sicherte. Auch das eine historische Parallele zu Europa, erst im Protestantismus, und dann in der Aufklärung (Josef II. verbeamtete sogar die katholische Kirche in Österreich, und sie ist es bis heute geblieben, in den Augen des Verfassers dieser Zeilen der Hauptgrund für ihre Impotenz). Die Verbeamtung der Künstler, nicht zuletzt über das Förderwesen, hat sogar in unseren  Tagen größte Ausmaße erreicht. Damit kastriert man das Korrektiv, das ja Anbindung an die "Natur", das Ursprüngliche als Gesolltes wäre.

Dieses Verständnis von gelungenem Leben und Rolle war so massiv, daß ein Übergang in andere Rollen ein ungelöstes ethisches Problem war. Was den raschen Vorstoß des Buddhismus verstehbar macht, der in seiner Karma-/Wiedergeburtslehre ein geistiges Problem für die Chinesen löste. Für den alles, was aus dieser Eingebundenheit in dieses vollkommene Ordnungsspiel fiel, im Maß seiner Ferne ins Tierische fiel - also auch fremde Völker. Der Buddhismus brachte erstmals auch das Element der "Erlösung" UND des "Erlösers" mit, dem zu folgen wichtiger war als das Erfüllen der Rollenerwartung. Wichtig in Zeiten der Unterdrückung, weil plötzlich Hoffnung auf jenseitige Gerechtigkeit (im Karma, dem begrenzten Rechtfertigungskontext, bis zum Eingang ins Nirvana, denn eine personale Substanz an sich kennt der Buddhismus nicht) da war. Und genau in solchen Notzeiten breitete sich ja der Buddhismus in China aus, also aus politischen Motiven, und mit regional sehr unterschieden ausgeprägten Jenseitshoffnungen und -vorstellungen. Denn der Konfuzianismus hatte eine ausgeprägte Sorge um den Nachruhm, als Kontinuum der Rollenethik!

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