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Mittwoch, 22. Juni 2011

Aus dem richtigen Leben

Also, paß auf, meinte unlängst H, und er tat es auf seine übliche Art, wo seine Hände ankündigten: Obacht, jetzt wird Großes angekündigt. Ich war auch wirklich ganz Ohr, denn H ist ein Original, eines der wenigen, die ich kenne. Und einer, der lebt, ganz einfach. Also, sagt er, jetzt schau ich mir diesen offiziellen Warenkorb einmal an, und stelle fest, daß wir - es heißt: WIR ... also bin ich auch dabei - weit mehr Geld für Transport und Freizeit ausgeben, für Spaß sozusagen, als vor zehn Jahren. Für Lebensmittel ist der offizielle Preis aber kaum gestiegen, im Gegenteil, man kriegt sein Kilo Brot fast ums selbe Geld wie vor zehn Jahren, genauso den halben Liter Bier.

Jetzt hab ich mir das einmal bei mir angeschaut, und da bin ich auf was draufgekommen, hör zu: Vor zehn Jahren bin ich zum Greißler gegenüber gegangen, und hab mir dort das meiste von meinem Zeug gekauft. War nicht sagen wir das Allerbilligste, aber auch nicht so teuer, wie man meint, ich hab mir das durchgerechnet, 10 bis 20 Prozent über diesen ganzen Supermarktangeboten. Gebraucht hab ich für mich und meine Familie 500 Euro Lebensmittel im Monat, da geht das, und außerdem hat der schon mal am Abend ein bisserl länger aufgehabt, wenn etliche Leut noch was kaufen wollten, und am Sonntag seine Milch rausgestellt, wenn sie ausgegangen ist - Anruf, und der Chef war da. Oder er hat was umgetauscht, obwohl das Packerl schon aufgerissen war, wie gesagt: ich bin mri gar nicht sicher, ob ich überhaupt mehr bezahlt hab, als im Supersupermarkt in der Inzersdorfer Straße.

Denn paß auf, was jetzt passiert ist: der Greißler hat zugesperrt. Es hat sich einfach nimmer gerechnet, seine Tochter wollt das Geschäft schon gar nicht übernehmen, denn da hätte sie sich nur Arbeit gekauft, ihm war das ja schon fast egal, er wollte nur noch zur Pension kommen. Gibt's nimmer. Nächster Nahversorger? Der Supermarkt in der Inzersdorfer. Um dort hinzukommen kann ich aber nimmer schnell mal über die Straße hüpfen, da muß ich ins Auto steigen, weil mit dem Bus ist es noch umständlicher, abgesehen davon: fahr Du mal mit einem Wochenendeinkauf für drei Personen in den Tragsackerln mit dem Bus ... aber da fängt es schon an: Es kostet mich plötzlich das Hin- und Herfahren etwas!

Aber nicht nur das: mir ist aufgefallen, daß sich in den letzten Jahren viele solcher Dinge abgespielt haben. Auf jeden Fall hat sich unser Leben so verändert, daß wir jetzt wesentlich mehr Dinge BRAUCHEN, um quasi überhaupt leben zu können, als noch vor zehn Jahren. Da ist das Handy - Du brauchst heut nicht nur eines, sondern jeder braucht eines, weil wir uns sonst nicht koordinieren können. Alles ist derartig auf Kurzfristigkeit abgestellt, daß Du flexibel sein mußt, Du hast gar keine Wahl. Dann ist da das Auto. Vor zehn Jahren bin ich im Jahr 10.000 Kilometer gefahren, heute sind es 17.000. Ständig muß irgendwer irgendwohin gebracht werden, oder -fahren. Vor zehn Jahren sind wir einkaufen GEGANGEN. Heute FAHREN wir. Aber nicht, weil wir zu faul geworden sind, sondern weil es nicht mehr anders geht. Zum Supermarkt in die Inzersdorfer zum Beispiel. Rechne alleine das zu den Einkäufen dazu! Aber so weit sind wir noch nicht.

Um die monatlichen Fixauslagen zu decken, ist es jetzt notwendig, daß auch meine Frau arbeiten geht. Du, die geht nur arbeiten, damit wir im Grunde das zahlen können, was wir zusätzlich brauchen, seit zehn Jahren! Ich hab es mir ausgerechnet: Handy, Autokostensteigerung absolut (Benzin, überall Parkgebühren etc.) und relativ (heute notwendig, vor zehn Jahren weit weniger), Internet und PC, alles was seither DAZUgekommen ist - das zahlt jetzt meine Frau, quasi.

Nächster Effekt: sie kann nimmer kochen, oder: es muß schneller gehen, wenn sie am Abend heimkommt. Was passiert? Sie kauft viel mehr Fertig- und Halbfertiggerichte, viel mehr Tiefkühlzeugs, und wir selber gehen zwischendurch, tagsüber, zu Mittag, schnell mal auf einen Imbiß, zum MacDonalds, oder einfach zum Würschtelstand. Wenn wir am Abend müd von der Arbeit kommen, hat jeder Hunger, und das Kochen soll schnell gehen, sonst ist es zehn, bis wir zum essen kommen, da schlafen wir schon.

Wirklich "essen" gehen wir nur noch sehr selten, es ist uns - ich sag es ehrlich - einfach zu teuer geworden. Wenn ich heute für ein Bier bei Wirten 3,30 Euro zahle, dann sind das 50 Schilling. Das heißt: Das Bier ist von 27 Schilling, oder weniger, fast ums Doppelte gestiegen! Net bös sein, da ist es selten geworden, daß ich ins Beisel am Eck geh, um noch drei, vier Bierlein zu zwicken, um die nötige Bettschwere zu holen. Das hab ich früher ja fast jeden zweiten Tag gemacht. Der Wirt macht eh damit nicht weniger Umsatz, sage ich mal ...

Aber wie nennt man das? Richtig! Effizienzsteigerung! Produktivitätssteigerung. Ja, mir hat unlängst sogar einer vorgerechnet, daß ich mir heut viel mehr leisten kann, als vor zehn Jahren. Ich hab geglaubt, ich derstoß den! Vor zehn Jahren hab ich beim Krobat, meinem Greißler, sowieso nur BIO-Äpfel gekriegt, und seine Wurscht war von einem Fleischer im 4. Bezirk (den gibt es nimmer, denn Fleischer gibt es überhaupt nimmer, die EU-Vorschriften sind viel zu scharf, hat mir einer erklärt, es gibt bald nur noch Fleisch- und Wurstfabriken) Rechne einmal nur, was das kostet, wenn jetzt überall die Ware zentral ausgeliefert und transportiert werden muß, das ist ja in meiner Rechnung gar nicht drin, das sind ja "gesamtvolkswirtschaftliche" Faktoren! Wenn ich zum Krobat einmal gesagt hab: Du, bei der Krakauer, probiert's doch einmal, einen Paprika reinzuschneiden? Dann war die nächste Woche eine Stange da, mit Paprika, und der Krobat hat gesagt: Da, koste einmal, ist gut geworden, die Paprika-Krakauer! Da hat der Fleischer die einfach mal ausprobiert, und dann ab und zu auch ein paar Stangen so gemacht. DAS ist Lebensqualität, sag ich! Wenn ich zum Krobat meine Schillinge getragen hab, dann hab ich mich richtig gefreut, daß DER was davon hat, und hab mir Sorgen gemacht, wenn er einmal zu billig war: Herr Krobat, da verdienen's aber nix dran, hab ich ihm dann gesagt, und er hat gesagt: Ach was, geht schon, ich verhunger nicht, aber weil die Bananen so billig sind, kommen mir vielleicht mehr Leut, hat er gesagt. War aber nicht so, wie gesagt.

Da zeigt sich was anderes: wie diese Scheiß-Supersupermärkte die kleinen Strukturen ruinieren! Die Straße bei mir ist heute TOT, regelrecht TOT. Der Bezirk überlegt nun eine "Belebungsmaßnahme", 200.000 Euro haben's schon bereitgestellt, mit ein paar Bankerl haben's angefangen, die Narren. Wer setzt sich da hin, wo doch nix mehr los ist? Früher hat man mit den Leuten getratscht, die einkaufen gegangen sind. Heute gehen alle nur noch DURCH, von irgendwo zu ihrer Wohnung, und umgekehrt. Man hat kein gemeinsames Leben mehr! Rechne aber allein das alles auf die Waren um, die ich jetzt "billiger" im Supermarkt kauf ...

Hör zu: vor ein paar Jahren haben wir uns einen neuen Kühlschrank gekauft. Nicht wegen der Energie, ja, das auch, weil die Stromkosten einfach immer höher werden, weil zwar lauter "energieeffiziente" Geräte kommen, aber VIEL MEHR! Egal, also: Vor 10 jahren haben wir mal dies, mal das eingefroren, weil wir eine größere Menge bekommen haben, und so weiter. Heute? Heute BRAUCHE ich ein größeres Gefrierfach. Einfach, weil um BILLIGER einkaufen zu können, muß ich im Supersupermarkt gleich zwei Kilo Fleisch kaufen. Davon brauchen wir pro Mahlzeit ein schwaches halbes Kilo - also? Einfrieren ... (Übrigens: Rindfleisch kannst heut ja gar nimmer bezahlen!)

Auf einmal hab ich Internet - weißt warum? Weil meine Tochter in der Schule so mit dem Internet verwickelt wird, daß die ihre Schule gar nimmer OHNE eigenen Anschluß machen kann! Alles lauft heute online, sogar die Aufgaben, und möglichst kurzfristig, gell - der Lehrer schickt die heim und sagt ihnen, daß um drei Nachmittag irgendwas abzurufen ist, das sie dann in der Hausaufgabe verwurschten müssen ... So geht das am laufenden Band! Bitte, was die dauernd auch sonst noch an Sachen zu zahlen hat, Du machst Dir keine Vorstellung: Monat für Monat im Schnitt 170 Euro, ich hab es nachgerechnet, und es wird immer mehr, wir haben schon gesagt: nein, das machst nicht mehr, und das kannst Dir auch sparen. Internet "nur für sie" nicht mitgerechnet, dabei hab ich den Eindruck, daß die nicht einmal mehr Unterlagen kopieren und verteilen, sondern das muß die alles daheim "ausdrucken" - ich brauche mittlerweile jedes Monat eine Druckerpatrone, weißt was die kostet? Das sind aber alles nur EXTRA Schulkosten. Denn der Schulbesuch ist ja angeblich GRATIS!

Und dann schau ich mir so an, was für Lebensmittel wir heute kaufen: ja, wir zahlen fürs Brot nicht mehr, stimmt. Aber das billige Brot, das nicht mehr kostet, das kannst wirklich nicht essen. Ein Brot, das drei Wochen hält, und immer noch nicht schimmelt? Ich möchte nicht wissen, was da drin ist. Dem Geschmack nach sind es ohnehin nur Sägespäne.Und so geht das in einer Tour! Das Auto nutzt sich ab, daß es eine Freud ist - nun kommen ständig die Reparaturen, also muß ich bald ein neues kaufen, das rechnet sich nimmer. Wie nennt man das, wenn man nach wie vor "Brot" kriegt, das nicht mehr kostet, aber billiger hergestellt wird? Weißt Du was? PRODUKTIVITÄTSSTEIGERUNG, nennen die das. Produktivitätssteigerung, daß ich nicht lach. Mit Mathematik hat noch nie einer Wirtschaft betrieben. Aber das glauben die heute alle!

So, heißt es, wird das Bruttoinlandsprodukt gesteigert. Nicht durch MEHR, sondern durch MEHR im SELBEN, und damit kann es MEHR werden, kapiert? Na, weil ich damit auch andere Produkte kaufen kann, kann, sagen sie, kann! stell Dir vor! nicht: MUSZ, als ich früher gekauft habe, nein: MIR LEISTEN KONNTE! Konnte, nicht: mußte.

Denn was ist nun passiert? Ich hab mir meine Einkaufsrechnung angeschaut, die ich jedes Jahr zu Sylvester mach, und was stelle ich fest? Tatsächlich, die haben recht: mein Einkommen HAT sich verlagert. Nach deren Kriterien gebe ich heute weit mehr Geld für "Unterhaltungselektronik" aus, für Fertiggerichte und und Freizeit aus, weil das, was ich seither alles auch kaufen muß notwendig geworden ist, weil wir so wie vor zehn Jahren gar nimmer leben KÖNNEN.

Unsere wirkliche Lebensqualität ist aber GESCHRUMPFT! Stell Dir vor! Wir hatten damals mehr Zeit - fürs Beisel, auch füreinander (grins net so blöd!), wir waren nicht so gestreßt, es war gemütlicher, ganz einfach. Und meine Lebensmittel? Na bitte, schwarz auf weiß: BILLIGER, viel viel BILLIGER. Und dafür ist mein Luxusleben gestiegen: mehr Fertiggerichte, mehr Autokosten, mehr Unterhaltungselektronik, mehr Freizeitspaß, weil mein MacDonalds-Besuch zu Mittag ist ja jetzt Freizeitspaß. Früher war das einfach "Nahrungsmittel" ...

Und ich will gar nicht davon reden, wie in meiner Kindheit noch ein Paradeiser (Tomate; Anm.) geschmeckt hat, oder die Erdbeeren, die im Beet vor unserm Haus gewachsen sind. Und von den Äpfel gar nicht zu reden. Und was für Sorten es gab! Ich lüg nicht: ein Dutzend oder mehr, jedes Jahr, und alle waren für was bestimmtes, und jeder hat seine Lieblingssorten gehabt. Ich will auch nicht davon reden, daß die Rechnung schon deshalb nimmer stimmt, weil ich heute vieles im Supersupermarkt nur noch in Großpackungen kaufen kann, damit sie BILLIGER werden, von denen ich dann ein Drittel wegschmeißen muß, leider, weil ich sie nicht so schnell verbrauchen kann, daß sie nicht schlecht werden, oder einfach nimmer schmecken.

Und dann kommt so ein Oberwaschel daher und erklärt mir, daß mein Leben BILLIGER geworden ist, er kann es mir beweisen, ja, daß es mir überhaupt BESSER GEHT. Nicht EINES von den Dingen, die sich geänder haben, habe ich WOLLEN - alles habe ich MÜSSEN, ich bin nur noch am Reagieren und Durchlavieren: wie geht sich alles noch aus. Das was ich angeblich als Wohlstandsvermehrung besitze - ich will das alles nicht. Ich brauch keine drei Handys, und ich hätte nicht einmal den Internetanschluß - Zeichen des Wohlstands und der Modernität! - wenn ihn meine Tochter nicht brauchert. Das, das solltest einmal schreiben! Net über irgendwelche philosophischen Probleme der Kunst.



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