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Mittwoch, 13. Juli 2011

Ein problematischer Fall

Es stimmt, was Andrea Gagliarducci in seinem Blog - er ist dem Verfasser dieser Zeilen aus dem Treffen im Vatican vom vergangenen Mai bekannt - schreibt: die Wahlerfolge in Finnland und Ungarn zeigen, daß es sich - katholische! - Parteien sehr wohl leisten können, mit offenem Visier zu kämpfen. Die Zeiten, wo man aus Vor- und Rücksicht meinte, ein vorsichtiges Verklausulieren der wirklichen An- und Absichten würde mehr bewirken, als mit erwarteter Ablehnung zerstört würde.

Den Linken ist in den letzten Jahrzehnten nämlich gar nicht gelungen, die Menschen "umzudrehen" - es ist ihnen aber gelungen alle GLAUBEN ZU MACHEN, daß überall anders gedacht würde, als es ihr Hausverstand ihnen nahelegt. Der Linken ist gelungen, aus ihrem Denken eine Moral des Gesollten aufzurichten, das gerade in aller Widersprüchlichkeit und Irrationalität jeden Legitimationsbezug - eine, wie ich hier immer wieder darzulegen versucht habe, in ihrem tiefsten Grund irrationale "Wissenschaftlichkeit" als Denkparadigma! - für sich in Anspruch nimmt. Damit hat sie es geschafft, die Menschen zu paralysieren: ihr eigenes Denken und Empfinden wird als illegitim und unmoralisch abgelehnt. Weil sie aber damit ihre Handlungsgrundlage verlieren, bleiben sie politisch machtlos und willfährig. Oder - und darin liegt die Begründung für die steigende Wahlabstinenz der Bevölkerungen - sie kommen in unauflösbare Widersprüche, die sie nur noch durch Fernbleiben von den Wahlurnen bewältigen können. Solange diese Prozesse aber die Machtverhältnisse regeln, kommen die herrschenden Systeme in immer größeren Widerspruch zum Empfinden der Bevölkerungen.

Mittlerweile muß man akzeptieren, daß sich der Kulturkampf in Europa und auf der Welt nicht einfach als Kampf der Religionen sehen läßt. Sondern er ist ein Kampf der Religiosität an sich gegen die Dämonie und Schreckensherrschaft des Rationalismus, eines technizistischen Wissenschaftsbegriffs, der seine eigene Relativität vergessen hat, und sich auf denkerisch groteske Weise verabsolutiert, damit - so nebenbei - verblödet. Die Frage bleibt freilich, ob nicht manches als "Religion" auftritt, dem dieses Etikett an sich vorenthalten werden müßte.

Ob nicht z. B. der Protestantismus an sich eine a-religiöse Haltung ist. Ob nicht der Islam an sich Religionszerstörung betreibt, weil auch er ein System des Moralismus ist, und KEIN "magischer" (man verzeihe den seltsamen Hilfsbegriff, er sein ausnahmsweise hier einmal gestattet) Weltzugang. Denn Religiosität hat ganz gewiß ein Kriterium, an dem auch Religionen zu unterscheiden sind: sie hat Liturgie.

Wo immer die Liturgie aber in eine Veranstaltung gezielter, gar methodischer subjektiver Befindlichkeitsveränderung oder Moralisierung umschlägt, wo das das Fundament "religiöser" Veranstaltung ist, hat sie sich bereits vom Wesen des Religiösen losgerissen. Denn der Italiener steht für den Verfasser dieser Zeilen sehr wohl unter dem Verdacht, daß er - wie so viele Strömungen in der Kirche, die fatal irrtümlich für "Aufbrüche" gehalten werden, in Wirklichkeit der definitive Abgesang sind - religiös etikettierte Scheinwirklichkeit für Religion und religiöses Gefühl hält.

Das macht auch solche Anklänge sehr problematisch und sogar fraglich. Denn das Christentum kann keine Weltanschauung sein - es ist eine persönliche Haltung im Umgang mit der Welt. Und hier laufen die Grenzen ganz anders: hier scheidet sich der Mensch in religiös, weil er an die Relevanz der Evidenz der Wirklichkeitsbegegnung glaubt, oder a-religiös, wo die Welt in technische Abläufe zerfällt, die keinerlei Relevanz für den Weg zu Gott haben. Und unter diesem Gesichtspunkt gesehen, erkennt man schon, worauf es hinausläuft: so mancher, der sich als "religiös" bezeichnet, ist es nämlich nicht.

Umgekehrt gibt es ihn tatsächlich, den "anonymen Religiösen". (Von wo zum "Gläubigen" oder "Katholiken" es natürlich noch ein tüchtiger Schritt ist.)

Deshalb aber kann es auch keine "christliche Politik" geben, eine solche wäre bestenfalls naiver, ja gefährlich unsachgemäßer, inhaltsleerer Moralismus. Politik ist eine weltlich-menschliche, schöpferischer Veranstaltung, Ausfluß gottgewollter menschlicher Weltgestaltung, und nur insofern hat sie mit Gott zu tun. Aber in ihrer Natur - als menschlichen Selbstvollzug, zu dem die größere Freiheit der Gnade "lediglich" noch mehr befähigt. Aber die nicht ihr Inhalt sein kann.

Wenn also eine Politik "christlich" genannt werden kann, dann weil sie z. B. gesundes Volksempfinden berücksichtigt und umsetzt, indem sie auf einem Denken aufbaut, das sich seiner Wurzeln in der Evidenz der sinnlichen Weltwahrnehmung bewußt ist - in aller Relativität (u. a. der Sittlichkeit, auch das aber ist etwas anderes als Moralismus!), gewiß, aber in seiner letztlich einigen Relevanz. Nicht, weil sie "christlich" in Dokumente schreibt oder in der Verfassung verankert (auch wenn dagegen nichts zu sagen ist). Daran sind auch die Politiker in Ungarn und Finnland zu messen.

Gagliarducci schreibt also:

Finnish and Hungarian cases, on the other hand, show another side of the truth: if two parties of Catholic roots are able to get such percentage of votes, it means that people have the need to refer to Catholic values. The resurgence of religions is now taking place. Soimi understood it, and intercepted the discontent of religious groups, and – in the name of common interests, and without exception (he addressed to Catholics, Protestants, Muslims, Jewish) – he gathered all religions under the umbrella of shared values in the name of common good. A sort of Alliance of the Sacred, that John Paul II himself promoted to weighs on in international debates.


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