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Freitag, 29. Juli 2011

Menschen ohne Geschichte

Pressetext.at schreibt, daß "zu viel Googeln vergeßlich" mache. Was natürlich ein Quatsch ist. Was soll uns am Googeln (das man im übrigen "googlen" verdeutschen müßte) vergeßlich machen?

Was uns vergeßlich macht ist etwas ganz anderes: daß wir in der "Aktualität" des Internet generell auch meinen, uns der Mühe begeben zu können, die Persönlichkeit und Selbstsein eben bedeuten. Denn sich selbst besitzen kann kein ausgelagertes Gedächtnis ersetzen. Sich selbst besitzen heißt, alle Spannungen bei sich zu tragen, und deshalb in diesen Grenzen zu bestehen.

Aber schon der Handygebrauch hat sich so ausgewachsen, daß wir die kleinsten Spannungen nicht mehr zu tragen bereit sind, und das "wir rufen uns noch zusammen" ist die Absage an die Mühe, uns im Zueinander in Spannungen zu bewegen. Weil das aber nicht trainiert ist, wird die Grenze, ab der wir diese Mühe zurückweisen, immer niedriger. Bis wir gar keine zwischenmenschlichen Spannungen mehr ertragen, und uns damit nur noch die lächerlichen technsichen Apparate jene Kontinuität des Daseins gewähren, die "uns" ausmacht: wir tragen unsere Geschichte nicht mehr in uns, sondern auf Datenträgern gespeichert und zugänglich.

Damit verlieren wir das, was uns Geschichte gibt, was in unseren Gesichtern, Falten, Haaren, Körperhaltungen ablesbar "wir" überhaupt sind! Damit lösen sich sämtliche wirklichen Beziehungen zu Menschen auf, sie existieren nur noch auf dem Papier - auf den google+ oder facebook-Kreisen. Wo eine "aufgeschriebene" Persönlichkeit existiert, deren Einhaltung wir dann verlangen, wo wir verlangen daß alle das Spiel des Kaisers ohne Kleider mitspielen - aber wir haben keine wirkliche Persönlichkeit mehr. Unser Gedächtnis ist unser Selbst. Wer kein Gedächtnis hat verliert sein Personsein, jeder Alzheimer- oder Demenzpatient gibt davon ein beredtes Beispiel.

Wir werde nicht vergeßlich, weil wir diese Datenträger benutzen, anstatt das Spannungsvermögen aufzubauen, das die Informationen speichert. Wir werden unfähig, überhaupt noch Mensch mit Geschichte zu sein, weil wir jede Sekunde "neu" und "bei Null" anfangen müssen. Wir werden keine Menschen mehr sein, nur noch dem Anspruch nach. Weshalb wir alles tun werden, um die Gültigkeit der Facebook- und Google+Profile zur Pflicht zu machen, als offizielle Teile unserer Persönlichkeit. Im Sterben aber werden wir etwas Schreckliches feststellen - wir werden als tabula rasa sterben, als Menschen ohne Gesicht.

Nichts wird von uns bleiben, nichts bei Jüngsten Tag für uns zeugen, nichts mehr da sein, das in der Neuschöpfung Gestalt wäre. Dante müßte sein "inferno" neu schreiben - leere Gespenster, in durchsichtigen enganliegenden Hüllen, bewegungsunfähig auf immer ...


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