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Freitag, 26. August 2011

Der soziale Mensch ist ein anderer

Die Rolle, die der Wald als Ganzes, als Organismus für die einzelnen Gewächse spielt, geht so weit, daß sämtliche Umwelteinflüsse erst zweitrangig werden. Sie werden durch das Waldsein selbst verändert, geschaffen, gestaltet. Dafür wirkt sich das hochkomplexe Zueinander der Pflanzen bis in den innersten Bau der einzelnen Bäume aus. Die Form ist engstens mit der Funktion verbunden, alleinstehende Bäume unterscheiden sich bis in den veränderten anatomischen Bau des Holzes selbst. Mit jeder Form und Funktion ist aber auch eine andere Umwelt verbunden.

Das Soziale verändert also seine Teile, sie sind nicht mehr dieselben. Eine Gesellschaft ist also nicht die Summe von Individuen, die auch einzeln dieselben wären, nein: Eine Gesellschaft ist ein Organismus, in dem seine Teile auf diesen Organismus hin bezogen geworden, gestaltet und lebendig sind.

Dabei bilden die jeweiligen Pflanzenarten in sich geschlossene Funktionskreise, die jeweils wieder eine Rolle im Insgesamt des Waldes spielen. Je mehr solcher Kreise es gibt, desto stabiler ist ein Wald insgesamt, und desto sorgfältiger werden die Ressourcen des gesamten Systems ausgenützt, von der Bodennahrung bis zum Licht und dem Humus. Jeweils in engster Zusammenstimmung mit der Fauna. Alle diese Kreise stehen in einem ständig lebendigen Wechselspiel aus Konkurrenz und gegenseitigem Nutzen.

Ein Wald ist, schreibt Morosow gar, gleichsam ein soziales Individuum, eine Gesamtheit veränderter Holzgewäche. Und Florenski kritisiert ihn sogar einmal, weil er noch viel zu wenig weit in dieser These geht - für Florenski stellt sich nämlich schon die Frage, ob solch ein Individuum nicht bereits etwas wie eine Seele hat, ein Eigenleben. Aus diesen Hypothesen bildet sich ja dann die Annahme einer "Noosphäre", wie bei Wernadskij oder Teilhard de Chardin, wenn auch auf je andere Weise: eine Art "denkender Sphäre". Eine Sphäre, die sich wie die thermischen Schichten rund um die Erde gelegt hat, und in der sich im Laufe der Jahre und Jahrtausende aus den zahllosen Wechselwirkungen in der Materie so etwas wie aktive, lebendige Denkstrukturen gebildet haben, die ein gewisses Eigenleben, in jedem Fall aber eine ungemein komplexe Harmonie darstellen, wo jede Veränderung (auch durch den Menschen) sofort ausgeglichen wird. (Teilhard sieht aus der evolutiven Natur heraus, die diese Sphäre haben sollte, in der sich also die Prinzipien des Weltwerdens überhaupt abbilden - ich vereinfache - sogar den treibenden Motor für die Enticklung des Menschen hin auf den Geist, damit auf die Selbstvergottung als Gesamtziel der Natur hin.)

Ähnliche Forschungen trieb Thienemann, der die Natur als extrem komplexes, fast geheimnishaft zu nennendes Ökosystem bezeichnet, in dem zahllose Ökonischen - z. B. Seen, Täler, Wälder, Sümpfe ... - Organen in einem riesigen Kommunikationsraum bzw. einer Biosphäre gleichen. Oder blättern Sie zurück,  - ich habe hier ausführlich die Forschungen von Woltereck dargelegt.

Aber noch etwas Wichtiges formuliert Morosow: Der Wald (und wir ziehen hier ja bewußt Parallelen zur menschlichen Gesellschaft, zu naheliegend ist diese Metapher) als Gefüge des Daseinskampfes und schier nicht eingrenzbarer Wechselwirkungen der einzelnen Holzarten, zeigt natürlich auch alle Elemente von Schutz, Hilfe und gegenseitige Beschirmung und Anpassung! Doch keine dieser Erscheinungen ist ISOLIERT möglich! Keine kann isoliert, kann für sich betrachtet und gefördert oder unterdrückt werden. Sie sind alle nur jeweils Facetten und Aspekte eines insgesamt ungemein vielseitigen Lebens. So manche Vorgänge im Wald scheinen sogar auf den ersten (und auf den zweiten) Blick Gegnerschaften zu sein - um sich dann doch letzten Endes als notwendige Anpassungsprozesse darzustellen, die zur "merkwürdigen Harmonie" des Waldes notwendig gehören.

Wer meint, er könne auch die Konkurrenz verändern, oder verhindern, irrt - jeder Eingriff wird zu einem Eingriff in eine Gesamtharmonie, die er zerstört. Ein kleiner Beweis sind Bäume, die (durch Kahlschlag) von dieser Konkurrenz plötzlich befreit sind. Sie gehen so gut wie immer ein. Der Wald ist eine Biozönose, eine reale Gesamtheit, endlich sogar eine Landschaft, in der jedes Lebewesen eingefügt ist, seine Rolle spielt, und Berücksichtigung findet. Und dies alles - in geographischer Bedingtheit. (Keine solcher Organismenlandschaften ist wiederholbar, gleich.) Das Leben ist (und da darf man sogar mal Darwin zitieren) eine Erscheinung sozialer Natur.


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