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Freitag, 5. August 2011

Über den Wert von Lektüre

Man kann Einsicht in die Welt und die Dinge nicht kompilieren - indem man z. B. (auch aus diesem Blog heraus) Lektüre sammelt und "erledigt", wie man einen Motor zusammensetzt, ein Kochrezept befolgt, das am Ende wunderbaren Geschmack ergibt.

Deshalb verstehen auch manche nicht, daß man sich auf Bücher und Autoren beziehen kann, ohne ihre Werke in toto gelesen zu haben. Sich mit Autoren zu befassen kann oft ganz andere Gründe haben - und tatsächlich auch manche Erweiterung, weil man deren Häresie (und jeder Mensch hat seine Häresie, auf seine Art) als Erweiterung des spiralförmigen Weges nach ... (soll ich sagen: Oben?) vorne, im Sinne eines: weiter, plötzlich anziehend findet.

So komme auch ich immer wieder auf ältere Bücher und Autoren zurück, selbst wenn ich sie abgelehnt habe, oder mal weglegte, um in deren Welt wieder einzutauchen, sodaß meine Büchersammlung eine ständig neu zu entdeckende Quelle bleibt, die sich auch aus Vorhandenem nährt, das es auf andere Weise zu entdecken gibt.

Was man aus Lektüre gewinnen kann ist Nahrung für eine Leidenschaft der Wahrheitssuche, die aus sich heraus ihre Anregungen und Arten der Formulierung sucht.

Als ich seinerzeit Sedlmayr's "Die Entstehung der Kathedrale", zum Beispiel, entdeckte, war mir ihr liturgischer Aspekt (in Zusammenhang mit der Baugeschichte des Lettner, ein im Grund erkenntnistheoretischer Aspekt, der bei Florenski und der "Ikonostase" wieder aufgetaucht ist) wichtig und interessant. Heute nahm ich sie wieder her, weil ich die Gotik in ihrem Zusammenhang mit der Lichtmystik des Dionysos Areopagita immer schon erfaßt hatte, und über Kaltenbrunner's "Dionysius"-Buch neu darauf stoße. Und plötzlich sogar Henry Boulad wieder ausgrub, diesen Teilhardisten, um den vor bald zwanzig Jahren als dürr befundenen Strauch aufs neue zu untersuchen, ob nicht doch die eine oder andere Feige im Geäst sitzt.

Literatur ist unermeßlich wertvoll, ganz gewiß, und ich könnte nicht abgrenzen, was ich ihr verdankte, und was "eigenes" Denken (das eigentlich nur ein Streben ist) ausmachte. Aber wenn ich z. B. ein Buch von Walter Tritsch über Mystik hernehme, das neben Boulad stand, und das ich vor zwanzig Jahren als uninteressant, ja langweilig abstellte - und das nun genau das enthält, was ich gerade suchte, dann bin ich wieder einmal erschrocken über die einerseits gegebene Notwendigkeit, immer wieder feste Standpunkte zu bilden, anderseits diese aber nach Jahren wieder aufgebrochen werden müssen, weil sie zu eng geworden sind.

Es sind nicht die Bücher, es ist das eigene Herz. ich bin mit Kierkegaard der Meinung - auch das ein Autor, der mich bislang nicht interessiert hat, und erst jetzt sich zu erschließen anfing, worauf ich plötzlich entdeckte, daß er eine Kernfrage, das worum es mir doch immer ging, die unmittelbare Begegnung mit der Wirklichkeit als einzigen Weg zur Gottesbegegnung, zwischen seine Backen nahm und kaute - mit ihm also bin ich der Meinung, daß es das eigene Suchen und Denken ist, auf das es fast alleine ankommt.  Und hier ist Wahrheitssuche nicht vom ganz subjektiven Willen zur Heiligkeit zu trennen. Der Intelligenteste wird nicht über sein Herz hinaus denken können.*

In Büchern, schreibt er, findet er immer nur Bestätigungen (und das ist im Grunde langweilig) für Schritte, die er bereits vollzogen hat, auch wenn er manchmal noch nicht davon wußte. Sie können sogar hinderlich sein, weil sie eigenes Denken überlagern, einengen, in Schächte zwängen, in denen sie furchtbar nach Luft ringen.

Lebendige Herz Jesu-Verehrung, Tirol
Keine Lektüre, kein "Lernen" vermag einen über sich wirklich hinauszuheben. Sie vermag nur beizutragen, zu ernten, was bereits blühte, und man vielleicht gar nicht sah. Den wirklichen Weg muß man selber gehen. Und man muß ihn als wirkliche Entwicklung der Persönlichkeit wollen. Es beginnt, wenn man diese persönliche Dimension begreift. Denn dann erst beginnt die Begegnung mit der Wahrheit - als Person. Nicht als "Gewußtes". Als ... Herz. (Ich hätte nicht erwartet, das jemals so zu sehen.)

"Ego sum via vita veritas."


*Deshalb hat der Rationalismus ja so große Anhängerschaft gefunden - er liefert über die "Logik", die sich beschränken läßt, weil sie beschränkt IST, die Ausrede für die eigene Bequemlichkeit, in sich verbleiben zu können.


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