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Freitag, 2. Dezember 2011

Nachgetreten

Scheidende Führungskräfte sind zumindest interessant, wenn auch unter zwei Gesichtspunkten problematisch: wäre das Fallen figuraler Zwänge und Notwendigkeiten (der Scheidende spricht nicht mehr offiziell im Namen der von ihm vertretenen Korporation) noch ein Fallen von Denk- und Sageverboten, so können Verletztheiten gerade hier Verzerrungen bringen. Umgekehrt werfen "Enthüllungen", "Wahrheiten", die sich jemand von der Seele redet, ein schlechtes Licht auf den Redner: warum hat er noch zu Zeiten der Verantwortung das alles nicht beherzigt? Die Rückschlüsse auf den Charakter sind meist aussagekräftiger als sein offizielles Fazit, das sich ja gerne weise gibt.

Jürgen Stark war Chefvolkswirtder Europäischen Zentralbank (EZB), und man darf ihn durchaus unter dem Prismenglas ansehen. Aber er ging unter Protest, was doch etwas aussagt: denn er hält es für unverantwortlich, daß die EZB Staatsanleihen von Krisenstaaten aufkauft.

Einige seiner Aussagen sind deshalb bemerkenswert (wenn auch nicht überraschend), mit denen er in der FAZ nach seinem Ausscheiden auftritt. Im besonderen warnt er davor, daß die EZB zu einem politischen Instrument mißbraucht wird.

Warum war der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB für Sie und Axel Weber so ein unverzeihlicher Tabubruch?
Die Mehrheitsentscheidung des EZB-Rates ist zu respektieren, in dieser besonderen historischen Situation Staatsanleihen aufzukaufen.
Aber wo liegt die Gefahr?
Es geht weniger darum, dass der Anleihenkauf im Augenblick zu Inflation führt. Die EZB schöpft regelmäßig die Liquidität wieder ab, sie sammelt das ausgegebene Geld also gleichsam wieder ein. Wichtiger und problematisch ist, dass das Zinsniveau für Staatsanleihen durch den Anleihenankauf beeinflusst wird und damit einen fiskalpolitischen Effekt hat.
Warum?
Wir beeinflussen die Bedingungen, zu denen Regierungen sich verschulden können. Das ist absolut nicht unsere Aufgabe.
Warum ist es schlimm, wenn die Notenbank den Staaten hilft?
Es muss eine klare Aufgabentrennung zwischen Zentralbank und Regierungen geben. Die Zentralbank hat für Preisstabilität zu sorgen. Und es liegt in der Verantwortung der Regierungen, für angemessene Bedingungen für die Finanzierung ihrer Staatsausgaben zu sorgen. Wenn die Märkte seit einiger Zeit sensibler auf die hohe Verschuldung der Staaten reagieren und deshalb höhere Zinsen verlangen, ist es nicht die Aufgabe der Notenbank, das zu korrigieren.
Was ist dabei das Problem?
Wir wissen aus der Wirtschaftsgeschichte, dass es immer zu Katastrophen geführt hat, wenn eine Zentralbank in großem Stil Staaten finanziert hat. Das endet in Inflation. Nicht immer kurzfristig. Aber mittel- bis langfristig. Und es führt letztlich zu wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Instabilität.

"Liquidität findet immer ihren Weg," sagt er weiter. Die Vermehrung des Geldumlaufs drückt sich in jedem Fall in höheren Preisen aus - entweder in Inflation, oder in der Erhöhung von Immobilien- und Vermögenspreisen. Oder es verlagert sich durch Geldflüsse - die Geldmengen des Nordens haben ja die Inflation in den Schwellen- und Entwicklungsländern in die Höhe gehen lassen, weil nun dorthin investiert wurde.

Und noch einen klugen Satz sagt Stark: Auf die Frage, ob in Krisenzeiten nicht Regeln ausnahmsweisig auch gebrochen werden sollten, meint er: "Regeln sind dazu da, gerade in Krisenzeiten Orientierung zu geben."

Grundsätze gelten gerade in kritischen Zeiten. Die Vorstellungen, alle Problem der Welt immer mit zusätzlicher Liquidität zu lösen, sind irreführend. Es mag kurzfristig helfen, führt aber mittelfristig zu Marktverzerrungen und höherer Inflation. Aber gerade amerikanische Denkfabriken stimmen die Öffentlichkeit und die Politik auf höhere Inflationsraten ein, und die Diskussion hält langsam auch in Europa Einzug. Eine Empfehlung, die EZB solle statt zwei Prozent Inflation vier oder fünf Prozent zulassen, halte ich für grundfalsch. Eine solche Entwicklung kann nur sehr schwer wieder eingefangen werden.
Dann bleiben am Ende tatsächlich nur Eurobonds?
Eurobonds lösen die strukturellen Haushaltsprobleme, die einige Mitgliedstaaten der Eurozone haben, am allerwenigsten. Vielmehr führen sie zu einer Haftungs- oder Schuldenunion, die niemand wollen kann. Erst wenn entscheidende Schritte hin zu einer politischen Union gemacht worden sind, könnten am Ende auch gemeinsame Anleihen stehen.




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