Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 30. August 2012

Vom nicht mehr Gewußten - 2. Teil

Schon seit Jahrzehnten gewinnt das Buch eine zunehmende Bedeutung. Aber während in den 1970ern die Buchclub-Buchwände in den Wohnwänden wuchsen, gab auch noch das Fernsehen täglich seinen Sermon an Bildungsgut ab. So hörten die Menschen auf sich darum zu besorgen, daß sie selbst die Speicher des Wissens der Menschen sein sollten, nein, müssen. Während gleichzeitig der Wert des Gewußten fiel und fiel, denn mit jedem Jahr kamen  neue "wissenschaftliche" (="absolut wahre") Informationen. Die Halbwärtszeit wie Verfügbarkeit des Wissens machte Wissen gar nicht mehr wert, behalten zu werden, morgen konnte es anderes sein. Wozu das heute Gewußte lebendig halten? Der Wohlstand lieferte außerdem die Illusion - mit den Bücherwänden, mit den Mediengeräten - das Wissen zu besitzen weil abrufbar zu haben.

Gleichzeitig veränderte sich an den Schulen die Pädagogik. Das Auswendiglernen hörte auf, es wurde als stupid verleumdet. Die Lerninhalte wurden zu bloßen rationalen Problemlösungen, der Lehrer wurde als Person bedeutungslos, er wurde zum Vermittlungstechniker.  Während es zuvor nur Übergang des Wissens von Mensch zu Mensch gab, bezieht sich heute Lernen auf "objektive" Inhalte, die mittels gewisser Techniken angenommen werden, oder nicht. Ja, im Gegenteil, wird unter grotesken Vorstellungen von "Chancengleichheit" Lernen überhaupt von Identität getrennt, Fähigkeit wird zum "Skill".

Damit geht sprunghaft eine gewaltige Menge an Gewußtem verloren, denn niemand ist in der Lage, nur sprachlich oder in bloßer Technik alles aufzufangen, was jener im direkten "Zeigen" zu vermitteln, was der Schüler im Nachahmen, im Anziehen einer Identität zu erfassen vermag.

Sprache zur reinen aktualistischen Kommunikation, ihr Inhalt zur formalen Logik, die sich aus den Worten selbst ergibt. (Während Sprache doch ein möglichst präzises und umfassendes, ganzheitliches Darstellen wirklich präsenter Inhalte der Grundstimmungen der Seele ist.) 

Mit dem letzten Schub, der in seiner Totalität nicht mehr überbietbar scheint: dem "google-"Zeitalter. Überhaupt nichts mehr scheint wert und not, gemerkt zu werden. Überall und jederzeit ist alles Wissen der Welt nachschlagbar, und damit präsent. Der Wissende der Gegenwart ist nicht mehr der weise Alte, der in langen Jahren seine Erkenntnisse der Welt sammelte, vorsichtig weil des großen Schatzes der Vergangenheit gewahr weiterspann und heranbildete, und weitergab, sondern der clevere Medienbenützer.

Damit aber ... gibt es gar kein Wissen mehr.  

Der Jesuit Marcel Jousse löste vor fünfzig Jahren Unruhe im Vatikan aus. Als er die begründete Theorie aufstellte, daß jeder Mensch in seiner Sprache gar nicht abgrenzbar ist auf "bloße Sprache", sondern daß sein gesamter Ausdruck, sein gesamter Körper an der Kommunikation beteiligt ist. Am gesamten Körper sind Spannungen und Bewegungsimpulse meßbar, wenn ein Mensch spricht. Und sie stehen mit einer Inhaltsfülle in Verbindung, die die Schrift zum Abklatsch des Mitgeteilten macht. Also zeigte er auch in der Heiligen Schrift, daß sie sich auf historischen, in Rudimenten im Vorderen Orient aber noch vorzufindenden Arten der Vermittlung bezog, die der Rabbi Jesus ganz sicher auch benützte. Und Jousse schloß so viele Wendungen der Schrift auf, die ohne diesen Bezug nicht verständlich waren. Nur vor diesem Hintergrund ist ihre Art und Ausdrucksweise plausibel. Und übersteigt somit alle "rationalen" Informationsgehalte.

Kommunikation, Mitteilung ist ein ganzkörperlicher Vorgang. Und somit ist auch Wissen nur Wissen, wenn es sich im ganzen Körper vorfindet. Wirklicher Wissensübergang ist damit direkt an die Weitergabe von Mensch zu Mensch gebunden, an die Imitation und die schöpferische Verarbeitung im Empfänger. Sie ist situationsbezogen als Akt des Handelns, und eine Frage der fleischlichen Präsenz im Vermittler, wie der fleischlichen Gegenwärtigkeit im Hörenden.


***