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Samstag, 1. September 2012

Begegnung im Stiegenhaus - III

Forts. Teil 3) Es wäre interessant - wenn es auch kaum durchführbar ist - herauszurechnen, wie es um unseren Reichtum bestellt ist, wenn man die ständig und stark steigende Staatsquote an der Wirtschaftsleistung, sowie den Anteil der auf Kredit (in Unternehmen wie privaten Haushalten) finanziert ist, vor allem aber auch an Verpflichtungen die wir in die Zukunft verschoben haben (staatlich garantierte Rentenansprüche als Beispiel) herausrechnet.

Der Verfasser dieser Zeilen hat den Verdacht, daß sich ein Schock einstellen würde, der umso mehr verdrängt wird, je mehr uns die Erkenntnis dämmert. Was nicht zuletzt in simplen psychologischen Mechanismen ankern könnte. 

Weil mit einem Schlag das jahrzehntelang wie ein Mantra wiederholte Selbstlob unserer "Tüchtigkeit", der alleine wir alles zu verdanken hätten, mit dem sich Generationen in Selbstzufriedenheit suhlten, die nun noch mit ihrem Pensionen abkassieren (man verzeihe die rüde, aber ... wohl angebrachte Redeweise), zum Gegenteil werden würde: zur Anklage, zur Schuld. An den nächsten Generationen, an der Vergangenheit, an uns selbst.

Selbst wenn man die derzeitige Wirtschaftskrise mit der Flucht in das nächst größere ("kritische") System "bewältigt", indem man weiter Schuldenberge in die Zukunft verschiebt, in der jahrzehntelang eingeübten Denkungsart, daß uns schon noch irgendetwas einfallen würde, sodaß über Effizienzsteigerung (und Steigerung der Wirtschaftsleistung, die immer ausschließlicher von Zuwanderung erwartet wird auch wenn das noch kaum jemand ausspricht), gerät unser System in die Bredouille: Um Kreditwürdigkeit zu erhalten, ist zumindest eine gewisse Rückkehr zu budgetärer Solidität notwendig. Will man aber durch strikte Sparkurse der von den Staaten längst abhängigen Volkswirtschaften nicht ihren Treibstoff entziehen, und damit unabwendbar Armut produzieren, bleibt nur die Steigerung der Einnahmen, durch Steuern und Abgaben. So versucht man ein immer komplexeres, immer fragileres System der Balance zu erhalten, wo jede Detailfrage schon zur Existenzfrage des Ganzen wurde, und der Wert der Trugbilder, der Scheinziele, immer mehr steigt. (Die Frage der "nachhaltigen Energie" ist ein Beispiel dafür.)

So zeigt sich in Europa generell eine gewisse Enge der Liquidität, und sie zeigt sich vor allem bei den unteren Einkommensschichten. Deren Haushaltungsprinzip nicht einfach Effizienz ist, sondern absolute Machbarkeit. Wer nur 150 Euro monatlich zur Verfügung hat KANN keinen Doppelpack an Waschmitteln kaufen, auch wenn der Literpreis unvergleich günstiger wäre. Der hat nur 3 oder 5 oder 10 Euro zur Verfügung, wenn überhaupt, nachdem er seinen täglichen Lebensmittelbedarf gedeckt hat. Hier gelten ganz andere Grundsätze des Verhaltens, wir haben schon mehrfach darüber berichtet, die auch das Verhalten im Einzelnen unter vielfach überraschende Logik stellt.

Aber selbst darin hat sich unser Verhalten - dem der Staaten, der Politik, und der Unternehmen - längst angeglichen, und zwar: weltweit. Handlungsprinzip wurde nach und nach ausschließlicher nicht mehr die schöpferische Gestaltung,  mit der Ziele erreicht werden sollen, sondern die Vermeidung des größeren Übels. Darin mündet die Zuspitzung von Wirtschaftsfragen auf Fragen der Liquidität.

Das produziert erstaunliche "Richtigkeiten". Da werden Staaten HUNDERTE Milliarden an Krediten erlassen, um ihre Gesamtverbindlichkeiten, ihre Wirtschaftspotenz noch halbwegs glaubwürdig zu bewahren, weil ein Ausfall ganzer Märkte vermeintlich noch schlimmere Auswirkungen zur Folge hätte.

Und da verändert sich das Käuferverhalten: es werden kleinere Mengen gekauft, zu höherem Liter- oder Kilopreis, weil man nicht mehr Geld disponibel hat. Das - so der angstvolle Tenor der Medien - sei das sicherste Zeichen für um sich greifende Armut. 

Aber ist das so? Tatsache ist, daß wir "herabsteigen", und auf dieser Treppe kommen uns die "Aufsteigenden", die noch vor kurzer Zeit verachteten wirklich Armen der Welt, entgegen. Plötzlich stehen wir auf demselben Treppenabsatz! Plötzlich wendet Unilever (und nicht nur, beileibe nicht  nur) in Europa dieselbe Strategie an, weil sei auf dieselben Voraussetzungen bei den Konsumenten stößt, wie in Entwicklungsländern.

Aber waren wir jemals "reicher" (oder in diesem Ausmaß reicher) als sie? Haben wir nicht vielmehr an Stellschrauben gedreht, die Parameter für Reichtum an Mengen und Massen orientiert, ohne deren Wesen zu berücksichtigen? Ist das, was uns nun bevorsteht, oder worin inmitten wir uns jetzt befinden, nicht einfach der logische und unausweichliche Rückbildungsprozeß nach Jahrzehnten wirklichen ... Wahns? Nach Jahrzehnten in denen wir uns verhalten haben, als gäbe es kein Morgen? Als wären alle Gesetze der Schwerkraft aufgehoben, gälten nicht für uns? Wieviel an unserer Denkweise war und ist derartig realitätsfremd, unerfahren, töricht! 

Wir haben - als illustratives Beispiel - Infrastruktur geschaffen? Jeder Hausbauer und jeder Unternehmer weiß, daß Investitionen nicht  nur einmal zu tätigen sind, sondern daß die Erhaltung das eigentliche Problem ist! Daß jedes "Ding", das zusätzlich vorhanden ist, immer und ausschließlich mehr kostet als es rein pekuniär bringt - sein Nutzeffekt ist lediglich in der Verlagerung zu suchen! Man kauft also mit jedem Investitionsgut auch zusätzliche - zusätzliche! - Verpflichtungen. Es gibt keine positive Investitionsrechnung, hier hätte die Volkswirtschaft, die Betriebswirtschaft, schon längst umdenken, ja überhaupt einmal nachdenken müssen, denn sie irrt auch hier. Investitionen, Maschinen, Apparate bringen lediglich eine Veränderung der Qualität, aber niemals eine Verringerung der Gesamtenergieleistung, die sie zu ihrem Einsatz und zu ihrem Erhalt benötigen. Und das gilt auch für ... Geld, für Kosten.

Deshalb hat unser "Wohlstand" der letzten Jahrzehnte zu einer mittlerweile dramatischen Verschlechterung unserer Lebensqualität geführt. Immer weniger von all den als positiv gerühmten Einrichtungen, die unser Leben ausmachen, sind freiwillig - immer mehr von ihnen sind Zwang zu erhöhter Energieaufwendung. 

Daß allen Energiesparmaßnahmen zum Trotz der Gesamtenergieverbrauch alleine in den letzten 20 Jahren um 100 % zugenommen hat, und daß sich die Gesamtverbrauchskurve im selben Tempo nach oben entwickeln wird, drückt genau diese Tatsache aus. Aber statt auszusteigen, gestalten wir die Systeme immer komplexer, immer noch umfänglicher, ausgebreiteter, ausschließlicher, schaffen ein kritisches System nach dem anderen. Deren Haupteigenschaft ist, daß sie nicht mehr steuerbar und nicht mehr beherrschbar sind, sondern uns beherrschen, unsere Kräfte aber immer umfangreicher dahingehend binden, als wir mit der Beseitigung ihrer (häufigen) Kleinkrisen beschäftigt sind, die nur einem Ziel dienen: den Kollaps des Gesamten zu verhindern. Und genau das können wir umso weniger ... Wir bauen uns eine Welt der statistischen Wahrscheinlichkeiten, und klammern alles aus, wo noch menschliches schöpferisches Verhalten - die einzige Resource, über die wir überhaupt verfügen! - überhaupt nur möglich ist.
Nur einen Ausweg gäbe es, und die Wirtschaftsstrukturen beginnen ihn partiell bereits zu vollziehen, teilweise weil "es einfach so fällt" (denn im Wirtschaften wirken nach wie vor, fast schon als Rückzugsbastion, wenn es denn Wirtschaften ist, und nicht "Geldproduktion", die Kräfte der Wirklichkeit): in einem Rückbau, in einem Rückschritt, und das hat mit Nostalgie rein gar nichts zu tun. Längst werden die Ladenketten mehr, die die Rückkehr der "Tante Emma-"Läden vollziehen: Kleine Verpackungseinheiten, wirkliche Bedarfsgerechtheit und Vielfalt des Angebots, auch wenn es mehr kostet. Der Verfasser dieser Zeilen kennt aus eigener beratender Tätigkeit Unternehmen auch aus anderen Branchen, die genau durch diesen Weg höchst erfolgreich sind. Wobei die größten Chancen vorerst gewiß beratungsintensive Branchen haben, deren Gut nicht so einfach managementtechnisch auf Preis und Masse heruntergebrochen werden kann, und die auf lokale Verankerung gesetzt - und damit gewonnen haben. Weil sie damit zu den eigentlichen Wurzeln des Wirtschaftens zumindest ansatzweise zurückgekehrt sind - Arbeit als Lebensvollzug, Kauf als Identitätskoinzidenz. (Denn Eigentum hat direkt mit Persönlichkeit und damit Lebenskreis zu tun.)

Abbau der Hybris, der großen Systeme und Denkweisen "im Ganzen", die das individuelle Verhalten so unnatürlich deformiert haben, wo die Wirkung zum Telos wurde. Beschränkung der technischen Möglichkeiten, und sei es durch verringerte Verfügbarkeit von Krediten. Entschleunigung der Lebensvorgänge. Vertiefung anstatt Vermehrung. Abstoßen so vieler Möglichkeiten, die uns nicht vorwärts gebracht haben, sondern unseren Lebensvollzug bis zur Unerträglichkeit kompliziert haben. Rückgewinnung von Eigenverantwortung, allmähliches Wiedergewinnen der Problemlösungskraft des Einzelnen, und von dort ausgehend seines unmittelbaren Lebensumfelds, vor allem durch Einschränkung des Transports (alleine durch Rückbau der Straßen) - Familie, Stadtviertel, Dorf ...

Das wären die Wege, die hier nur in der Richtung angedeutet sein sollen. Und sie würden selbstverständlich den Mut zu einer neuen Armut bedeuten, bemessen wir sie nach heutigen Kriterien. Das braucht viel Mut, viel Bereitschaft, auch schmerzliche Selbsterkenntnis und Schuldbekenntnisse. Nicht an den "globalen Problemen", in die wir nämlich flüchten (Klimawandel ...), sondern am Alltäglichsten. DORT haben wir uns versündigt. Das haben wir verdrängt. Aber nur dort vollzieht sich unser Leben, und dort liegt die Möglichkeit zu Zufriedenheit und Geglücktheit, bei allen Wechselfällen, die zum Leben gehören.

Der Verfasser dieser Zeilen hat es erlebt, wie sich in den 1970er Jahren das Verhalten der Haushalte veändert hat. Noch war es nämlich ungewöhnlich, plötzlich 1 Liter-Gebinde für Shampoos zu kaufen, noch war es ungewöhnlich ganze Paletten von Eiern zu kaufen, anstatt zwei oder vier oder zehn, je nach Verbrauch. Noch war es eigenartig, plötzlich Doppelpackungen von allem und jedem zu sehen. Da zog eine wirklich andere Lebensweise ein. Die des Plastik, die des schlampigen, ungeordneten Überflusses, der Verschwendung, der Nichtachtung der Dinge. Eine, die des Verfassers Mutter bis zuletzt verachtet hatte. Plötzlich stand mit dem Kauf überhaupt nicht mehr das Produkt im Vordergrund, darum geht es nämlich - niemand lebt noch mit den Produkten, den Dingen! Die werden nur verschlissen, wenn überhaupt.

Es geht um das Erleben des Können-Könnens, auf das sich unser Leben verlagert hat. Weil wir gar nicht mehr leben, weil wir nur noch auf einen Punkt hin leben, wo wir angeblich endlich leben - und uns deshalb immer öfter, immer dichter, immer mehr beweisen müssen, daß wir es doch noch tun können, und sei es, daß wir uns an unsere Zukunfts- und Trugbilder, an das ganze mentale Absicherungssystem das uns nahtlos umgibt klammern, mit Händen und Füßen wehren, weil wir - raumlos, wurzellos geworden - die Bedrohung im Hintergrund immer deutlicher fühlen, sodaß sogar jede abweichende Meinung schon zur existentiellen Bedrohung wird. Natürlich, natürlich würde das auch heißen: Bereitschaft zur Folgetragung, weil dann abzurechnen wäre, nicht mehr aufgeschoben werden könnte. Weil dann manches aufzugeben wäre, von dem wir nicht glauben wollen, daß wir uns damit mehr nehmen als es uns gibt.

Nur so, und in diesem Sinn, ist übrigens zu verstehen, wenn an dieser Stelle von Beschränkungen oder Rückbau die Rede ist: nicht durch ein Mehr an Verordnungen und Gesetzen, sondern durch ein Wiederherstellen der Rückkoppelungsmechanismen, was sich schlicht unter "Kostenwahrheit" zusammenfassen läßt. Was praktisch ausnahmslos ein Wegnehmen von staatlichen Regelungen bedeutet, das aber über simple "Privatisierungsmaßnahmen" weit hinausgeht, weil sich nicht auf bloße ökonomische Funktionen beschränkt. Selbst der Aufbau großer Wirtschaftseinheiten, in denen die pure Gesetzmäßigkeit des Kapitals begann die Wirtschaftskreisläufe zu vergiften, war aber so gut wie immer nur möglich, indem der Staat diese Kostenwahrheit - im vermeintlichen Gesamtinteresse, also in seinem, was praktisch immer zur "Synergie" mit den Prinzipien der Machterhaltung selbst auswuchs (die Verflechtung Bankenwesen/Staat ist ja eines der eigentlichen Probleme, das in seinen Folgen wie in seinen Zielsetzungen die gesamte Wirtschaft Europas ´definitiv seit dem 18./19. Jhd. zu durchwuchern begann) - nicht zuließ. Und damit die Regelungskreise des Lebens, von den großen bis mittlerweile zu den allerkleinsten, unnatürlich und parasitär deformierte, seinen Ausgangspunkt im Finanzierungsbedarf politischer Partialinteressen nahm, die das Gemeinwohl uminterpretierten.


Forts. 4. Teil morgen - Perspektiven


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