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Dienstag, 4. September 2012

Der Anfang vom Ende

Weil es exemplarisch ist, sei es hier besprochen: Die Presse berichtet, daß die Lebensmittelkette Zielpunkt - schon seit längerem im Gespräch, weil in beträchtlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten - ein neues Konzept umsetzen möchte. Hinkünftig soll der Kunde sagen, welche Produkte er finden und kaufen möchte. Man wird Regale mit laufend neuen Produktangeboten einrichten - was angenommen wird, wird in das Standard-Angabot aufgenommen, was nicht, nicht. 

Damit ist für den Verfasser dieser Zeilen klar: diese Kette wird es nicht mehr lange geben. Solche "Ideen" sind Verzweiflungsakte der Ratlosigkeit und des Selbstverlusts, der nicht restaurabel scheint. Wenn Zielpunkt nicht mehr weiß, was es anbieten soll, dann weiß die Kette nicht mehr, warum sie überhaupt da sein sollte. 

Sich "nach Kundenwünschen" richten war ein Trend, der vor etwa 20 Jahren seine ersten Höhepunkte feierte. Und er ist kläglich gescheitert. Überall, der Verfasser dieser Zeilen hat damit zahllose (auch eigene) Erfahrungen. Er war eindeutig motiviert von Angst: angesichts eines Marktes, der zunehmend zum Verdrängungsmarkt wurde, meinten aber viele, in völliger Verkennung der Merkmale des Verkaufsaktes, es wäre eine tolle Idee, und außerdem wunder was werbewirksam, den Kunden doch alles selbst bestimmen zu lassen? Mein Gott, wie menschlich! Hier bekommen Sie auf jeden Fall, was Sie, und nur Sie!, brauchen! Was bekomme ich? Na ... sagen Sie uns, was Sie wollen?

Also dann kam der Kunde - es sei hier aus der Schule geplaudert - und formulierte seine Wünsche. Und man zeichnete und entwarf, und alles war so sehr nach seinem Wunsch! Seltsamerweise passierte nun Folgendes: So gut wie alle diese Kunden kauften bei der Konkurrenz! Und oft genug ein Stangenprodukt, das - ja, vielleicht - da und dort modifiziert wurde. Er hatte alles das, was er in vielen Stunden Reflexion angeblich als "wirklich gewollt" dargestellt hatte, gar nicht gewollt! Von einzelnen Ausnahmen soll hier nicht die Rede sein, die Frage, ob die Kunden mit den dann auch noch meist seltsam unschönen Produkten glücklich wurden gar nicht erst zu reden.

Unternehmen, die damals nicht rasch wieder umstiegen - auf konkrete Angebote, konkrete Produkte und Firmenprofile, so hat es auch der Autor dieser Zeilen gemacht, und wieder sehr konkrete Hausvorwürfe angeboten - haben sämtlich mit solcher "Strategie" ihr Ende eingeleitet.

Solches Marketing hat nämlich die Folge, daß das Profil eines Unternehmens sich regelrecht auflöst. Es endet damit dort, wo es herkam: es fand keine "Nische" am Markt, also wollte es alle Nischen sein, und damit war es keine. MIt solcher Strategie wird sein Angebot noch weniger wahrnehmbar, und damit kauft auch kein Kunde mehr. Scheinbare Erfolge sind kurzfristig, weil sie sich völlig auf die rationalistische Ebene verlagern, und auf dieser sind auch - je nach Kundenschicht weil Persönlichkeitsstrukturen unterschiedlicher Dauer - anfänglich gewisser Erfolge zu erzielen. Die aber bald einbrechen, weil das Natürliche, das Fleischliche im Kunden siegt. Solche "Einfälle" funktionieren nur dort und genau so lange, wie jemand bereit ist, sie als Wirklichkeitsschema anzunehmen, und genau durch diese Brille zu sehen. Weil sie aber den fundamentalen Wirklichkeiten des Menschen widersprechen - zugegeben, die heute völlig ins Vergessen geraten sind - kommen sie mittel- und langfristig mit Sicherheit wieder vom Tisch.

Dem Verfasser dieser Zeilen ist kein Unternehmen bekannt - möge man ihn nicht mit Ausnahmen traktieren, die bei näherer Untersuchung gewiß andere Vorzüge zeigen, als die erwähnten der Beliebigkeit - das mit solcher Strategie wirklich Erfolg hat. Bücher nach Individualbedarf und -form? Fehlanzeige, bestenfalls eine Kuriosität. Fertighäuser ganz wie der Kunde sie will? Fehlanzeige, der Kunde möchte sich "für etwas" entscheiden, nur in der Konfrontation weiß er, was er will.

Wenn man sich umgekehrt aber die wirklichen Erfolgsgeschichten ansieht - Schuhhändler, die es seit 50 Jahren gibt, weiß der Deibel was noch, mache der Leser selbst seine Beobachtungen - dann haben diese Unternehmen immer eine einzige Grundstrategie verfolgt, haben nie ihre Identität gewechselt, sind bis heute identifizierbar, und haben ihr unverwechselbares, sehr reales, fleischliches Profil.

Wird ein Unternehmen seiner selbst unsicher, verliert es sich gar, oder findet es sich erst gar nicht (als Geburtsfehler, sozusagen), beginnt es seine Schwindsucht durch eben solche Sprüche zu vertuschen, meist begleitet durch sprunghaften Wechsel seines Tätigkeitsfeldes: plötzlich wird Profillosigkeit zu "Eingehen auf Ihre Wünsche", "mit der Zeit gehen", "dem Markt anpassen", etc. etc. Oh, der Verfasser dieser Zeilen war viele Jahre mit PR befaßt, er weiß, wie selten dort wirklich gedacht wird, wie wenig in diesem Bereich Ahnung vom Menschen herrscht.

Und damit sind wir beim Schlüssel des Problems, das sich nur aus diesem Fundament heraus erschließt: Was der Mensch ist, wie er ist. Was, bitte, das hört man höchstens, soll denn daran falsch sein? Das klingt doch so ... human, so dienstbereit, so sympathisch?
Wirklich? Ist das menschengerecht? Eben nicht, es ist nur wirklichkeitsfremd, weil es auf einem völlig falschen und autonomistischen Menschenbild aufbaut, eine Grundkrankheit des heutigen Marketing überhaupt - der Mensch hat eben  kein konkretes Bild von dem, was er will (und wo er meint, eines zu haben, bezieht es sich auf Erinnertes, bereits Bekanntes, also wieder Vorliegendes)! Der Wille des Menschen, als affektiver Lebensvollzug, ist abstrakt, hat keinen wirklichen Inhalt, und zielt auf Wirklichkeiten ab, die er im Begegnenden, durch sinnliches Wahrnehmen, findet, annimmt, oder nicht. Zur Welt gebracht, in der Äußerung, ist jeder Wille aber ganz konkret, auf ein Vorliegendes fixiert, an dieses gebunden. Man will nicht Eigenschaften, dieser Irrtum ist immer noch vielfach im Marketing präsent! Man will Produkte, und diese Produkte müssen bestimmte Eigenschaften haben, wobei sie den Käufer oft selbst erst auf Eigenschaften stoßen, die er auch gerne hätte, obwohl er sie nie hätte formulieren können! 

UND: Er kauft immer bei einem konkreten Unternehmen, das heißt: in einem Gesamtbezugsrahmen. Er kauft etwas, von jemandem. Produkte, die sich "nach seinem Wollen" formen wie er es "möchte", in einem Unternehmen, das gar keine Eigenschaften hat sondern wie eine Gummiwand allen alles sein will, haben einfach keine wirkliche, fleischliche, dinghafte Konkretion. Und werden damit nicht gekauft. Wer kauft nämlich Nichts, wer gibt Geld aus für etwas, das er eigentlich bereits hat? Ist ein Unternehmen nicht mehr identifizierbar, ist es auch nicht mehr wahrnehmbar. Also wird auch kein Entschluß, der immer ein Entschluß FÜR ETWAS ist, lauten, den Markt zu betreten. Den Markt? Welchen? Den mit austauschbaren Produkten? Den mit den "Pensionistentagen" (als nächstem Schwachsinn im Marketing: was kommt als nächstes? "Heute 30 % Rabatt für alle, die nicht nur sehr, sondern sehr sehr arm sind" - die, die zeigen wollen, daß es ihnen gut geht, sollen gefälligst zu Billa oder Spar gehen?)

Der offenbar aber überhaupt keine vitale Beziehung zu seinen Produkten hat, weil alle Produkte verschleudert. Denn im selben Artikel heißt es, daß Zielpunkt nach Eigenaussage 30 % seines Umsatzes (mit 3,5 % Marktanteil in Ö) über Aktionen macht. Dessen Beziehungslosigkeit zu sich selbst, dessen Geringschätzung seiner selbst - und wie will man etwas schätzen, das Nichts ist? - sich sogar aus eigener Beobachtung in dem verwahrlosten Zustand der Filialen mehr als deutlich, und wie es aussieht, versucht man nun diese Verwahrlosung in einer Filialeninitiative durch Lack und Substanzlosigkeit zu ersetzen, mit dem Charme einer Bushaltestelle. Dabei kauft bereits jetzt gar kein Publikum mehr, das sich FÜR etwas entscheidet, sondern jenes, das der Zwangslogik des Hammerpreises nicht widerstehen kann. Mit Verschleudern hat aber noch nie ein Unternehmen etwas verdient. Zielpunkt ist ja bei weitem nicht der einzige Diskonter, der seine Strategie rasch umstellte, wenn er nicht längst zusperrte - Pennymarkt, der seine frühere Strategie des "Nichts von Niemandem, und das um Kein Geld", die ihn bereits fast ruiniert hätte, seit geraumer Zeit kräftig zu verändern sucht, ist nur ein Beispiel dafür.

Plötzlich wird der Werbespruch von Zielpunkt, mit dem das Unternehmen derzeit aktiv ist, ganz neu beleuchtet: Mit diesem lächelnden Hans Krankl, der da sagt: ... genau was ich brauch!

Das hat dem Markt ganz sicher noch gefehlt. Was? Na - nichts, dafür alles!

Aber Moment, ist das nicht ein Motto, das sich über unsere gesamte westlich-globalisierte Kultur legen läßt?


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