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Donnerstag, 13. September 2012

Eine Hoffnungsgruppe

Das Ziel der deutschen Bundesregierung, die Zahl der jungen Menschen ohne abgeschlossene Berufs- und Schulausbildung bis 2015 zu halbieren, ist gescheitert. Sogar mehr junge Menschen denn je sind ohne Abschluß, so schreibt der Spiegel online

Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung zufolge haben 1,44 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren keine Lehre abgeschlossen oder einen Beruf erlernt. Dies entsprach im Jahr 2010 17,2 Prozent der Altersgruppe. 2009 lag der Wert bei 16,4, im Jahr zuvor ebenfalls bei 17,2 Prozent. Die Zahl der Ungelernten bis 34 Jahre liegt sogar bei 2,2 Millionen. (cit.)

Die Zahlen für Österreich dürften ähnlich liegen.

Man kann das auch ganz anders lesen, als der Spiegel es tut, und wie es im öffentlichen Tenor getan wird, als Katastrophe. Man kann es als Hoffnungsschimmer lesen. 

Wenn es zu einer Erneuerung unserer Kultur kommen kann, dann nämlich ganz sicher nicht aus den Schichten der "Gebildeten" heraus. Denn das Schul- und Ausbildungsziel der Gegenwart ist Verbildung, ist eine Konditionierung auf Codes, die über pägadogische Begleitmaßnahmen fast ausweglos die jungen Menschen in Systemlogizismen verhängen, sodaß sie von ihrem kulturell geprägten Selbst aus kaum noch zur einzigen wirklichen Basis von Kultur durchzustoßen in der Lage sind und sein werden: dem genuinen eigenen Empfinden. An den Trägern akademischer Grade am deutlichsten abzulesen, bedeutet diese Form der Integration in das System heute so gut wie ausnahmslos das Ende vitaler Kultur. Die umfängliche wie qualitative Steigerung der technischen Möglichkeiten führen aus der Natur der Technik heraus zu einer immer mehr beschleunigten Metastasierung dieses Zustands.

Wo immer Erhebungen und Willenstrends publik gemacht werden, findet sich im Maß der "Bildungsnähe" der untersuchen soziologischen Gruppen eine erschütternde Affinität zu jenen Werten und Zielen, die unsere Kultur zum Erlöschen bringen. Das sagt alles über die Effekte, die heutige Ausbildung (von Bildung zu sprechen ist ja ohnehin grotesk) bewirkt.

Gewiß, (Aus-)Bildungsverweigerung alleine ist noch zuwenig. Gewiß, hier dräuen andere Gefahren. Und gewiß, hier zeigt sich nur die Kehrseite eines kulturellen Versagens, eine direkte Folge oft genau der fehlgeleiteten pädagogischen Kraft unserer Zivilisation - als Hinbildung zum Laster, als Absenz von Tugend, der Haltung zum Guten, der einzig natürlichen Kraft für eine geglückte Lebensführung.

Aber ein vielleicht sogar dramatischer Rückbau unseres "Wohlstands" wird schon aus dieser Logik heraus ohnehin unausweichlich kommen. Und diese Menschen haben einen Weg bereits beschritten, der den Ausgebildeten heute fast verschlossen ist, den sie aber zu gehen hätten (und haben werden), um zu Menschen zu werden. Als Massenbewegung, von der man hier sprechen muß, ist solche Ausbildungsverweigerung ein deutliches Zeichen, und ernstzunehmen. Das sind, um ein Blog-Thema der letzten Wochen wieder aufzugreifen, die "Jungen", die nicht in Alpbach sind und nie sein werden, aber da sind die, die wir brauchen.

Denn das Unbehagen an der Gegenwart macht sich Luft, wenn so viele Menschen die Vergewaltigung durch unsere "Bildungssysteme" ablehnen. Und darauf kann man aufbauen. Nicht auf den "Ausgebildeten". Denn zur Zeit heißt eine abgeschlossene Ausbildung zu haben fast ausnahmslos bereits Lebens- und Wirklichkeitsfremdheit, kaum noch reparable Entfremdung von der eigenen Wahrnehmung. Und selbst wo dieser Mangel erkannt wird, kommt die aktuelle Pägadogik (auch in den Reformbewegungen) über subversive Formauflösung nicht hinaus. Denn es fehlt ihr die Kategorie des Kulturaufbaus, es fehlt ihr die Anthropologie. So wirft oft genau der Reformansatz die jungen Menschen ins Nichts, um sie in Invertiertheit, im Chaos zu belassen, kennt den Weg zur Gestalt nicht. Weil sie die kulturelle Gestalt meist sogar ablehnt, die ihren Dogmen widersprechen.

Der Weg kann nur über Situationsverdichtung laufen, hin zur a-methodischen Existentialität, zur Selbstüberschreitung in das umgebende Sozialfeld hinein. "Ausbildungslosigkeit" heißt oft genau das, soweit präventive Sozialsysteme dies nicht wieder verhindern. Während "Bildung" heute zum genauen Gegenteil führt: zur technischen Fähigkeit, die Systemfunktionen so zu bedienen, daß persönliche Existentialität (letztlich: durch Vermassung, weshalb der Verfasser dieser Zeilen immer vom "Akademikerproletariat" spricht, mit dem wir es heute zu tun haben: durch hohen Ausbildungsstand auch gedanklich hoch funktionabel, aber völlig ungebildet) vermieden werden kann. Die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien deutet an, was hier gemeint ist: Menschen mit besten Ausbildungen, die aber mit ihrem Leben nichts anzufangen wissen und auf die "anderen" warten.

Das aber erst wäre die Basis wirklicher Bildung. Die sich nicht an der Menge der Titel und Befähigungsnachweise richtet, sondern - in unterschiedlichen Ausformungen, aber mit derselben Wurzel - jedem zugängig ist. Ob er am Bauhof arbeitet, oder in der Studierstube. Hans-Hermann Hoppe schreibt einmal sogar - und in diesem Punkt stimmt dieser Artikel ich ihm völlig zu - daß das Glück enorm vieler Hochausgebildeten in einfachsten (nicht: primitiven!) Tätigkeiten läge, nur können sie es nicht mehr erkennen, und aus identitären Gründen nicht mehr verwirklichen. Und sei es als Bewirtschafter eines winzigen Weingartens, der eng eingebunden in ein dörfliches Sozialfeld zum Jahresausklang zufrieden auf seine paar Fässer selbstproduzierter Nordhangauslese blickt, die ihm ein bescheidenes Auskommen ermöglichen.

Erneuerungen, so läßt sich in der gesamten Geistesgeschichte Deutschlands (und gewiß nicht nur dort) kamen nie aus der Mitte einer Gesellschaft. Sie kamen immer von den Randlagen her: den Außenseitern, den Ausgestoßenen, den "Verlierern". Wenn es Sinn hat, sich zu investieren, dann nur, um zu solcher Erneuerung beizutragen. Die nur, wie Simone Weil schon 1943 schreibt, auf eine Weise passieren kann: durch wirkliche Umbrüche in den Denkansätzen.

Oder, wie einer der aktuellen Vertreter der Philosophie der Lebensphänomenologie, Rolf Kühn, sinngemäß schreibt: wir leben in einer globalen Gesellschaftssituation, wo die gesamten lebenspraktischen Ansätze in ihren geistigen Grundlagen als falsch, als historisch nachvollziehbar rettungslos irrtumsdurchdrungen, als lebensfeindlich, ja als todbringend zu verwerfen sind. IN diesem System, aus seiner derzeitigen Logik heraus, ist eine Rückbesinnung auf die einzigen wirklichen kulturtragenden Kräfte - die in den Individuen ansetzen - nicht mehr möglich. So bedeutet das Denken einer Erneuerung radikale Neuansätze zu denken.



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