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Sonntag, 9. September 2012

Mit der Wirklichkeit leben

In dem polnischen Film "Sommer auf dem Land" (Regie: Radek Wegrzyn) geht es um einen Pianisten, der viele glückliche Jahre mit seiner Frau verlebt hat, einer Sopranistin, mit ihr gemeinsam einen Auftrag, ein erfülltes Leben (samt einer Tochter) hatte. Als sie an Krebs verstirbt, wirft er alles hin, und zieht ins Dorf seiner Jugend zurück, auf den Hof seiner Mutter. Er will mit der früheren Welt nichts mehr zu tun haben, zerschlägt sogar sein Klavier. 

Und kauft sich eine Kuh, er will künftig als Bauer leben. Doch da passiert etwas Merkwürdiges: die Milch, die seine neue Kuh gibt, hat etwas Besonderes! Wer sie trinkt, hört die schönste Musik, hört  Mozart, Chopin, Beethoven, und ist wie neu belebt. 

Aus dieser Wirkung, aus dieser Wirklichkeit, schließt er, daß es sich nicht einfach um eine Kuh handelt, sondern - um seine wiedergekommene Frau! Und er lebt fortan, als wäre sie seine Frau; spricht mit ihr, macht Spaziergänge, veranstaltet Feste mit ihr.

Natürlich halten ihn alle für verrückt. Aber sie beginnen auch an sich zu zweifeln, denn die Wirklichkeit dieser Milch ist tatsächlich erfahrbar eine andere, als bei Milch üblich! Als ihn der Pfarrer einmal fragt, warum er plötzlich mit etwas lebe, das er doch gar nicht sehe, er sei doch früher immer ganz normal gewesen - er solle doch die Augen aufmachen: es SEI eine Kuh! - gibt er eine ganz bemerkenswerte Antwort. Indem er sagt: "Herr Pfarrer, ich habe angefangen, zu glauben!"

In dem Moment, wo er mit der Wirklichkeit der Dinge lebt (nicht mit ihrem Schein) hat sich sein Leben völlig verändert. Er ist nicht mehr im rein sinnlichen Schein gefangen.

Man überhört das fast, denn an sich ist der Film kein großes Werk und plätschert phasenweise dahin. Warum? Weil er zu bemüht eine Metapher - diese Metapher - bringen "will", und in sich zu kraftlos, phasenweise deshalb langweilig, und zuwenig aus sich heraus entwickelt ist, zuwenig lebt, sich zuwenig aus einem Kern heraus - dem entscheidenden schöpferisch wirklichen "Punkt", dem "Maximum im Minimum", wie Rolf Kühn das einmal formuliert - entfaltet. Entsprechend schwach ist auch der Schluß. Und Kunst will keine "Aussage" plazieren (so sehr das in ihr Platz hat), sondern wirklich werden lassen, was sie darstellt. Sonst wäre sie ja unnötig, ja, dann wäre die Schöpfung unsinnig.

Aber dieses Leise, das er auch hat, und sei es fragmentarisch, hat mich nicht bereuen lassen, ihn gesehen zu haben.



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