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Mittwoch, 12. September 2012

Trendnachklang

Im Nachklang zum gestern veröffentlichten Bericht über Trends und Zürich, könnten einem auch gewisse Parallelen auffallen. Wie die, daß das überragende Merkmal unseres Wirtschaftssystems der Trend ist, Gewinne zu privatisieren, Verluste aber zu vergemeinschaften. Nicht nur in Wirtschaftsbelangen, wo es allen so sauer aufstößt. Ob denn das nicht eine Übereinstimmung mit dem sozialstaatlichen Generalsatz der Versicherung gegen das Leben, als Grundstimmung der Generationen, ist?  Seit Jahrzehnten als Lebensgrundhaltung, die sich zum Generalnenner feststellen läßt, der auch auf die Rettungsaktionen im Rahmen der letzten bzw. aktuellen Wirtschaftskrise subsummieren läßt. Solch ein Leben läßt sich in einer Großstadt tatsächlich leichter organisieren.

Aber Konservativismus als Trend wird ja schon seit längerem beobachtet, und im übrigen vom Autor dieser Zeilen seit Jahrzehnten prognostiziert. Mit einer kleinen aber entscheidenden Einschränkung - daß er nämlich positivistischen Charakter haben wird bzw. hat. Denn er erwächst nicht aus einer kulturellen Gesamtbewegung, sondern als Reaktion.  Denn da ist noch etwas, was alle Erhebungen und Beobachtungen verzeichnen: Eine seltsame Mutlosigkeit. Und da will man gar nicht eine jüngst veröffentliche Umfrage zitieren, die den eigentümlichen Umstand bloßlegte, daß die Hauptsorge der heutigen jungen Menschen ... die Sicherheit ihrer Pensionen ist!

Schon gar nicht soll hier angeführt werden, daß es doch Merkmal des jungen Menschen immer gewesen war, NICHT an die Zukunft zu denken.  Ja, das ist ja gerade das Erfrischende an der Jugend, ich versteige mich sogar dazu: immer gewesen. Wo sich immer in der Jugend, die noch den ursprünglicheren Lebensquellen näher steht als der bereits in die Form hinein gewordene Erwachsene, Rebellion bemerkbar macht weil machen MUSZ. Es wäre seltsam, wenn das nicht mehr der Fall wäre.

Dem stellt der Autor dieser Zeilen eine merkwürdige andere Beobachtung zur Seite, deren autobiographischen Hintergrund zu vermuten dem Leser freisteht, aber selbstverständlich bestritten wird. Daß er die erschütternde Feststellung machen mußte, daß ihm Widerstand und Aufbegehren immer dann entgegentrat, wenn er geradezu die Anforderung stellte, sich GEGEN Trends und Massenerscheinungen des Zeitgeists zu stellen bzw. das überhaupt zu können. Da trat ihm eine Jugend entgegen, die das Recht auf Vermassung, das Recht auf Rundumversicherung, das Recht auf Totalversorgung einforderte! Dabei ist der Autor dieser Zeilen keineswegs ein Alt-68er, er bekam es nur mit deren Auswirkungen zu tun, wie ja jeder. Seine Ausbrechen als Jugendlicher, und manche meinen, es sei heftig gewesen, war zugleich ein Aufbegehren GEGEN dieses Versorgungsdenken, gekennzeichnet von gewissem Leichtsinn und Wagemut, sein Leben ins Meer hinauszustoßen!

Könnte es also nicht sein, daß dieser Trend zu traditionelleren Werten (Gänsefüßchen wären angebracht) in einen ganz anderen Rahmen zu stellen wäre? Wenn es nämlich so ist, wie hier behauptet wurde, daß die Lebenshaltung der Gegenwart in ihrem Grundzug die Absicherung gegen jene Ängste ist, die zu integrieren (denn das Nichts als existentielle Bedrohung ist niemals auszuklammern, immer präsent, es klafft unter ALLEM Sein, das in seinem Streben nach Konkretisierung und Bestand ja das Bollwerk gegen dieses Drohende bedeutet) und zu überspannen eigentlich der Weg des Lebens ist, wenn das also so ist, dann wäre dieser Konservativismus lediglich eine dialektische Ausformung eben dieses nihilistischen Grundgefühls!? 

Dann wäre der heutige Konservativismus nach nicht mehr als eine weitere Forderung an den Sozialstaat nach Konstanz, nach Absicherung der Situation totaler Versorgung und Rundumversicherung gegen alles. Nach Privatisierung der Nutzen, und Kollektivierung der Lasten, bei gleichzeitigem Anspruch auf den Nutzen des anderen. Des anderen! Und in einer Situation, in der durch gezielte Destabilsierung die Familien ihre Vorzüge nicht mehr ausspielen können, wird dann auch ihr Nutzen rationalisiert, wird sie utilitarisiert, und ... dem Staat, der Umgebung die Verantwortung für die Fruchtnießung ihrer Vorzüge überantwortet.

Denn in einer Situation, in der die Frau - nur als Beispiel zur Illustration - durch nichts mehr in existentieller Verpflichtung steht (auch die Kinderlasten werden ihr ja vielfach "abgenommen"), durch Einflußnahmen, die aus ganz anderen Ecken kommen als die um die es hier geht, ist es nur "wünschenswert", wenn eheliche Pflichten gestärkt werden, denn sie betreffen dann nur noch den Mann. (Stattdessen sind Unterhaltsverpflichtungen in den letzten Jahren sogar noch verschärft worden, ja es gab und gibt Diskussionen, sie auch auf außereheliche Verhältnisse umfassend auszuweiten!) Und das bei längst geschehener Dogmatisierung des Feminismus!

Nicht nur einen Fall kennt der Verfasser dieser Zeilen, wo Frauen sich völlig im Recht fühlen, ja mit "traditionellen Werten" argumentieren, und vehement auf die unlöslich ehernen Bande der Ehe hinweisen, den Mann, um sich selbst noch mehr dem Wesentlichen der Ehe - der Selbsttranszendenz auf ein Gemeinsames hin - im Namen ihrer "Eigenständigkeit" zu entziehen. Mit der amüsanten Spielart, traditionellere Verhaltensweisen großmütig zu "gewähren", solange es ihnen opportun erscheint.

Kurz: Kann es im Rahmen des heutigen gesellschaftlich, staatlich abgesicherten Defaitismus überhaupt eine Renaissance "konservativer Werte" geben? Oder ist die beobachtbare Wende zu traditionelleren Werten (und Rollenbildern) nicht längst nur noch eine zeitangepaßtere Spielart der Zersetzung, die nur die Zersetzung selbst im letzten Moment doch noch verhindern soll - durch Verpflichtung der ... anderen? Und ist deshalb nicht ihr Gesicht - als contradictio in adjectio - zwangsläufig voluntaristisch, um vor allem zu vermeiden, sich mit dieser menschlichen Grundangst - der Ungesichertheit des Daseins - auseinandersetzen zu müssen? Wird er nicht deshalb kaum mehr als Zitat bleiben, dessen wirkliche Kräfte ganz andere Wege gehen, und ihn also keineswegs als fundamentale "Umkehr" klassifizieren lassen?

Wer das emotionale Chaos einer "Hippie-Elterngemeinschaft" (und auf die eine oder andere Weise sind das heute fast alle Eltern) erlebt hat, ja der ist nicht selten unter jenen zu finden, die vehement die Vorzüge einer traditionellen Familie, mit Ordnung und Stabilität, preisen und fordern. Aber so gut wie nie unter jenen, die diese Knochentour der Selbsttranszendierung - gerade bei so fundamentaler Prägung durch Ungeformtheit, durch Vernachlässigung (die ist es, die ja bei "antiautoritärer", "freizügiger" Erziehung meist nur kaschiert werden soll) - auch gehen, die sie in Wahrheit  nur hervorbringen kann. Frei nach dem Motto: Wasch mich, aber mach mich nicht naß!

Und da wären wir denn da - bei Partnerschaft ohne Ehe, bei Ehe ohne (beiderseitige) Endgültigkeit, bei Religiosität ohne Religion, bei Nachwuchs ohne Anstrengung, bei Gemeinschaften ohne Verbindlichkeit und Belastung, bei Familien ohne Integrität. Und wer belastet, wer Spannungsaufbau verlangt, der hat einfach Unrecht. 

Kinder? Natürlich, sie sind ja so ein "emotionaler Gewinn", schreibt die NZZ deshalb. So dächte man wieder, schreibt sie. Und führt oben an, daß der Tend zu mehr Kindern mit der Errichtung von ... Abgabestellen zusammenhängt. Daß "emotionaler Gewinn" dabei auf positive, kurzfristige oder gar oberflächliche Gefühle reduziert werden könnte, ist nicht mehr im Blick.  Kinder ja, aber ohne daß sie den Lebensstil wirklich beeinflussen. Ein Ende des Individualismus? Ja, aber nur dort, wo er das brauchen würde, was erst individuell - weil zur Persönlichkeit - macht: Spannungstrage, Mühe im Aufbau, Niederlagen und Ausgeliefertheit. Denn nur so wird das Leben wirklich gesteigert - qualititativ, nicht einfach quantitativ.

Vor uns liegt deshalb ein Konservativismus, der genau das zu vermeiden versuchen wird, behauptet der Verfasser dieser Zeilen, ja der aggressiv werden wird bzw. ist: Er will die Vorzüge der traditionellen Lebensformen, aber er ist nicht mehr in der Lage und willens, deren Entstehungsbedingungen zu erfüllen. Er will ihren formalen Schein weil Nutzen. Aber nur, solange und wo es konveniert. Er fordert ihn sogar zum Trend, um in der Masse wieder untergehen zu können. Er will so sehr wie noch nie Willkür. Aber er will nicht mehr ihre Folgen. Das ist sie, diese Wende, und kaum mehr. Eine technizistisch geprägte Generation kann eben nur noch ... technizistisch denken. Und Technik heißt: Effektproduktion.
 

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