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Dienstag, 20. November 2012

Neuer Stil als Weg der Überwindung der Lüge

aus 2007) "Es gibt keinen neutralen Stil. Ihm würden vielleicht alle nach lebenden Modellen ohne Deutung und Ausdruck geschaffenen Kopien angehören." Und selbst die scheinbar nichtssagendste Photographie hat einen Stil.

Die Meister der byzantinischen Kunst, die ihren Stil erfanden, haben sich kein Abstraktum - den "byzantinischen Stil" - vorgestellt. Sie empfanden nur ein starkes Gefühl des Widerspruchs zwischen den Formen der Antike und einer Welt, in der sie selbst lebten. Was sie also zu vernichten trachteten war der Stil des Vorhandenen, nach dem sie erst selbst noch gemalt hatten - die vom Menschen geschaffene Hierarchie der Welt bedeutete für sie aber Lüge. So entdeckten sie, daß das von Gott heimgesuchte Antlitz eine bessere Verkörperung der Majestät war als das Antlitz der großen Schauspieler, die die Rollen der Kaiser zu spielen hatten ...

Bestenfalls der Schattenriß (im übrigen: die vermutete Sichtweise der Tiere!), der Umriß ist kein Stil, weil er eigentlich Zeichen ist. Er verhält sich zur Kunst wie der Amtsstil zur Literatur als Kunst. Es gibt in der Kunst keinen neutralen Stil. So wenig, wie es Gedanken ohne Worte gibt. Kunstunterricht, der über die Handfertigkeit hinausführt, ist deshalb immer Auseinandersetzung mit sinnbedeutenden Elementen eines oder mehrer Stile.

Es gibt in der Kunstgeschichte kein Beispiel, wo ein Stil aus der Auseinandersetzung mit der Natur - und nicht aus der Auseinandersetzng mit einem anderen Stil entstanden ist. Kein Beispiel, wo ein Meisterwerk direkt aus der Theorie heraus entstanden wäre - ohne dem Umweg über die Auseinandersetzung mit einem anderen Künstler.

Erst, wenn Kunst nur noch Konvention ist, erschöpft sich Stil in (zeichengeübter, damit ornamentaler) "Handschrift".

(Nach A. Malraux, "Psychologie der Kunst")


*201112*