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Sonntag, 23. Dezember 2012

Wo man nichts mehr sieht

"Die Sünde ist dasjenige, was vor dem Ich die ganze Realität verbirgt, denn die Realität schauen, das bedeutet eben aus sich heraustreten und sein ich in das Nicht-Ich, in das andere, in das Geschaute übertragen - d. h. liebgewinnen.

Die Sünde ist somit jene Scheidewand, die das Ich zwischen sich und die Realität setzt - das Umhüllen des Herzens mit einer Rinde. Die Sünde ist das Undurchsichtige - die Finsternis - der Nebel - das Dunkel. Deshalb heißt es: Die Finsternis hat seine Augen verblendet.

Das Gehenna - das ist das Dunkel, die Undurchdringlichkeit für das Licht, die Finsternis. Denn das Licht ist das In-Erscheinung-Treten der Realität.*

Kurz gesagt: Die Sünde ist das, was die Begründung und folglich die Erklärung, d. h. die Vernünftigkeit, unmöglich macht. Auf der Jagd nach dem sündhaften Rationalismus verliert das Bewußtsein die dem ganzen Sein zukommende Rationalität. Wegen des Vernünftelns hört es auf, vernünftig zu schauen. Die Sünde ist deshalb etwas völlig Verstandesmäßiges, völlig nach Maßgabe des Verstandes, der Verstand im Verstande.

Aber eben weil sie in erster Linie verstandesgemäß ist, macht sie die ganze Schöpfung und Gott selber sinnlos, indem sie ihm die perspektivische Tiefe der Begründung nimmt und ihn aus dem Boden des Absoluten herausreißt, alles in einer Ebene verteilt, alles flach und abgeschmackt werden läßt. Denn was ist die Abgeschmacktheit anderes als die Neigung, alles was sichtbar ist, von seinen Wurzeln loszureißen, es als selbstgenügsam und folglich unvernünftig, d.h. als töricht zu betrachten.. Der Teufel-Mephistopheles, dieser reine Verstand, ist auch die reine Abgeschmacktheit, weil er die Dummheit allein sieht."


Pawel Florenski, in "Säule und Grundfeste der Wahrheit"





*Wer die Dinge unsichtbar macht, verschwinden läßt, nimmt dem Menschen die Realität, und damit das Licht der Vernunft.



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