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Sonntag, 13. Januar 2013

Sprechen als Schaffensakt

Auf ein ganz interessantes Faktum weist Walter Ong hin. Dazu geht er von Fledermäusen oder Tümmlern aus: diese senden Schall aus, und aus dem Echo erkennen sie die Qualitäten eines Objekts. Ähnliche Möglichkeiten des Schalls (wie der Stimme) werden uns deutlich, wenn wir einen Maurer bei der Arbeit zusehen, der mit den Knöcheln eine Wand abklopft, wo Hohlräume zu finden sind. 

Echo, Schall der zurückkommt, dem wir ausgesetzt sind - also auch aus fremden Stimmen, die uns ansprechen - liefert uns also so immense Kenntnis der Schallquelle, weil sie den Gegenstand, auf den sie auftrifft, durchdringt, und insofern "gebunden" bzw. in einer bestimmten Struktur zurückkommt. Die wir entschlüsseln können.

Des weiteren weist Ong darauf hin, daß Schall (Stimme) uns eine Verortung im Raum möglich macht. Mit obigem Umstand - daß Schall Information trägt - verbunden, stellen wir durch Schall (mehr als mit jedem anderen Sinn) auch eine Beziehung zu den Dingen fest. Durch Nähe und Ferne, aber auch in Qualitäten wie Sympathie oder Bedrohlichkeit etc. etc.

Raum, Hören, verortet also. Ohne Schall - ohne das Bewegtwerden durch die Schallwellen, um genauer zu sein, denn der Taube ist davon nicht in dieser Totalität betroffen, wenngleich ihm geistige Schwäche oft zugeschrieben werden muß - wird der Mensch irr. Während er Dunkelheit durchaus erträgt, ohne daß es sich auf seinen Geisteszustand auswirkt, ja zum Gegenteil oft verbessert. Wie jeder Blinde beweist. Nachdem aber Verortung, konkreter Bezug zur Welt, konstitutiv für unser Selbst ist, ist es der Schall, der als Basis der Persönlichkeit gesehen werden muß. Ohne Schall löst der Mensch sich auf, fällt ins Nichts einer im keimhaften Ich ungewirklichten Person, die ihren entelechialen Kräften keine Konkretion bieten kann. Weil sie mangels Vernunft nicht handeln, nicht erfahren kann.

Auch hier greift Ong zur Illustration auf das Tierreich zurück: Vögelschwärme bauen ihr soziales Gefüge, und damit die Identitä des Einzelnen als Individuum innerhalb von Bezügen, durch Schreie auf. Nicht durch Berührung, oder Sicht. Der Ton weist zu, er erzählt über den Einzelnen, erzählt, in welcher Beziehung er zu diesem oder jenem Nachbarn steht. Und zum Scharm, denn der andauernde Ton, der über allen liegt, dient allen zur Vergewisserung ihres Weltseins als Gemeinschaft. 

Das läßt die Bedeutung des Gesprächs, der Stimme in der Kommunikation ahnen, weit vor allen Inhalten, die ja selbst wiederum auf Erlebniswahrheiten zurückgreifen - in der Sprache in ihrer Verweisfunktion auf Gewißheit, die dem Rationalen vorausgehen. Was Visuelles in dieser Form gar nicht leisten kann, dieses muß mit Bedeutung (aus dem Ton, dem Schall) aufgeladen sein. Weshalb Tiere nur sehen, was ihrem Erfahrungshorizont entspricht. Wildtiere nehmen am sich nähernden Menschen nur sehr begrenzt etwas wahr. Mit ruhigen Bewegungen zum Beispiel kann sich der Mensch oft sehr stark nähern. Bei Haustieren läßt sich eine allmählich wachsende Kommunikation feststellen, analog zum Wachstum ihrer Erfahrung mit einzelnen menschlichen Gesten, Handlungen, etc.

Damit wird klar, daß dem Ton expansive, nein, mehr: raumschaffende Aufgabe zukommt. Denn er trägt die sprechende Persönlichkeit als Wirklichkeit in den Raum hinein - am einfachsten erkennbar bei jemandem, der immer leiser wird, oder überhaupt leise spricht: wir erkennen in ihm einen Rückzug in ihn selbst hinein, ein "Verschwinden" sogar. Und auf ganz andere Weise als jemand, der "schweigt" - denn dieses Schweigen wiederum bezieht sich auf Gesprochenes, ist sogar Sprache in Mitteilung. Nur insofern ist es mit dem in sich Zurückziehen gleichzustellen, zurück in den Ursprung der Person, aber im Verzicht auf oder Verlust von Persönlichkeit.*

Expansive Menschen hingegen "ergreifen den Raum" durch ihre Stimme, eignen ihn sich an, indem er durch sie bestimmt, mit Inhalt gefüllt wird.Selbst, ja gerade in den Sprechpausen, ja dem Schweigen.

Jeder Theaterschauspieler kennt das - es ist eine klare menschliche Handlung, in der man den Raum in seine Stimme eingliedert, sich ihn aneignet, und definiert, ja Raum wird erst durch Definition überhaupt geschaffen! Mit seiner Stimme weist er jedem Zuschauer eine Beziehung zu, was so weit gehen kann, daß er ihn mit dem Leiserwerden "zu sich hinziehen" kann - erkennbar an einer zuneigenden Körperbewegung im Auditorium. Die fälschlicherweise nur der Lautstärke, der Hörbemühung zugeschrieben wird. Freilich, spricht er zu leise, zu wenig raumgreifend (was mit Lautstärke nur bedingt zu tun hat), verliert er das Publikum. Es zerstreut sich, wendet sich anderen Dingen zu, ist nicht "gepackt".

Wobei selbst wildeste, fremdeste Tiere Ton deuten können. Er hat eine Bedeutung, die durch alle Seinsebenen durchgeht, und unabhängig vom Sprechinhalt gemacht werden kann, ja, der absolute Bedeutung hat: für alle gleich, von allen Lebewesen "gekannt".

Dabei im gesprochenen Wort (noch einmal: das jedem verschriftlichen Wort vorausgehen muß, weil letzteres nur auf ersteres hinweisen kann) die Ebene der Vernunft, ja der Wortproduktion, der Dingproduktion selbst, (in Analogie zu Gott) erreicht. Wer keine reale Persönlichkeit entwickelt hat, kann also auch niemals lesen. Höchstens plappern.



*Der Verfasser dieser Zeilen vertritt die Auffassung, daß die häufige Sitte des Ohrhörer-Tragens bzw. der Dauerbeschallung durch elektronische Kleingeräte einer Art "Schaffung vom Raum in der Raumlosigkeit" dient - ohne die der autistische Mensch der Gegenwart, im Nicht-Raum der Ding- weil Beziehungslosigkeit, dem jede Welt zu viel wird, weil er ihr nicht mehr begegnen kann, ins Nichts fallen würde.



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