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Montag, 11. Februar 2013

Furcht vor Gespenstern

Die neue Bildsprache, sagt Vilém Flusser in einem Interview aus 1988 in Osnabrück, ist nicht mehr länger die Reproduktion von Welt. Sie sind die Reproduktion von strikt logischen Gedanken. Das wird unsere gesamte Art der Weltrezeption verändern. Wir stehen hier (er sagt das 1988) vor einer Revolution. In der Menschheitsgeschichte war ja jede Revolution letztlich eine Revolution durch Technik. Techniken haben immer menschlichen Körper simuliert und ersetzt. Nun stehen wir vor der Novität, daß erstmals Technik das Nervensystem simuliert. Damit greift Technik erstmals auf immaterielles Menschsein zu, und damit stehen wir vor einer direkten geistigen Revolution.

Nun glaubt der Verfasser dieser Zeilen, daß Flusser - wie so viele - irrt. Denn natürlich: Wenn er davon ausgeht, daß geistige Prozesse des Menschen bloße materielle Emanationen sind, ist die Möglichkeit der Technik, einzugreifen, weit dramatischer zu sehen. Aber das Wesen des Geistes ist eben nicht materiell, Materie ist nur Ausdruck, Abdruck, so sehr sie auf den Menschen zurückwirken kann, und ihm etwas über das Wesen von Welt aussagt, das von Technik bestimmt ist und sein kann.  In streng logischen Sprachsystemen läßt sich also Welt nie erschöpfend einfangen, ja solche Systeme bergen die immense Gefahr, die Welt zu verlieren, sich in sich selbst (und damit die Menschen, die damit umgehen, oder die sie gar als einzige Sprache sprechen) einzusperren.

Insofern stehen wir in der digitalen Revolution nicht vor einer Revolution des Geistes, sondern vor dem Problem der Illusion, der Täuschung. Denn die Umwandlung von bildhafter Darstellung, wie sie sogar noch Schrift ist, in logische Prozesse, in Zahlen, verliert, wenn sie für sich genommen wird, also ohne mythologisch-metaphysische, nein, poetische Komponente (um es in diesem Zusammenhang so zu sagen), tatsächlich mehr und mehr die Wirklichkeit der Welt selbst. Wir stehen vor dem Problem, das Friedrich Kittler einmal so ausdrückte: Wir nehmen zunehmend die Welt so wahr, wie sie die Programmierer sehen. Und damit geht sie uns salopp formuliert durch die Lappen. Denn es ist die Poesie, in der der Mensch behaust ist und die der Welt gemäß ist, nicht die formale, in sich geschlossene Logik.

Flusser sieht also zum einen die Entwicklung ZU dramatisch, weil er die Möglichkeiten des Menschen sich selbst zu bestimmen überschätzt. Zum anderen aber ZU WENIG dramatisch, weil er die Konsequenzen aus dem Wirklichkeitsverlust unseres Denkens unterschätzt. Die Sprache verliert damit nämlich ihre Wahrheitsfähigkeit. DAMIT stößt diese formal-immanentistische Logik den Menschen in die Irrationalität, und er verliert die Hoffnung, sich jemals im Einen der Vernunft zu finden. Das macht die Entwicklung der Gegenwart im wahrsten Sinn dämonisch.




(Gesehen auf Glaserei)




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