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Mittwoch, 20. Februar 2013

Kultur stammt nicht aus Sublimation (6)

6. Teil) Der Trieb nach reflexiver Macht




Die reflexive Macht bezieht sich auf die Macht über die eigene Seele, das eigene Seelenleben, anders als das transitive Machtstreben (s.o.), das auf Macht über das Außen aus ist, als Macht über den Leib, die Natur, die Pflanzen, Tiere, andere Menschen, soziale Gemeinschaften und über die verschiedenen Kulturgebiete.

Geht diese Macht auf die Erhöhung von Selbstwert, Vermeidung von Selbstunwert aus, zielt sie auf die Mögichkeit auf sich einzuwirken, ist sie mit den anderen reflexiven Trieben verbunden. Das würde das Vorhandensein eines reinen reflexiven Machttriebes nicht schließen lassen. Genauso wenig, wenn diese reflexive Macht auf transitive Triebe abgezielt ist, auf Güter, auf die Macht andere zu beeinflussen, deren Achtung zu erzielen, oder gewisse Leistungen technischer oder kultureller Art zu erzielen. Hier überall ist dieser Trieb nicht Selbstzweck.

Aber schon im bloßen Streben nach Selbstbeherrschung zeigt sich ein reflexiver Machttrieb, der keine außerhalb seiner liegenden Dienstbeziehungen braucht. Er kann um seiner selbst willen auftreten, und er tritt auf. Und er will sich bloß in seiner Mächtigkeit erproben. Noch deutlicher wird es, wenn man sich vor Augen führt, wie sehr der Mensch (die Seele) versucht, Situationen der Ohnmacht, des völligen Verlustes der Selbstbeherrschung zu vermeiden. Vieles am menschlichen Verhalten erklärt sich bloß aus der Tatsache, daß der Mensch viel tut, nur um solche Situationen der Ohnmächtigkeit, des Verlustes oder der Einengung der Macht über sich, zu vermeiden.

Aber auch dieser reflexive Machttrieb ist sich nicht selbst Maß, und alle bisherigen Triebe lassen sich nicht einfachhin auf ihn zurückführen. Sie sind auch keineswegs immer auf diese Selbstmächtigkeit ausgerichtet. Es wäre eine Verdrehung, sie (einschränkend) in solcher Selbstmächtigkeit begründen zu wollen. Manche dieser genannten Triebe sind sogar zuweilen in ihrer Zielung darauf ausgerichtet, auf diese Selbstmächtigkeit (oder deren Erweiterung) zu verzichten.

Umgekehrt kann er ebenfalls entarten. Denn es gibt auch die Sucht nach grenzenloser, willkürlicher Beherrschung des eigenen Seelenlebens, die den entsprechenden Menschen nie zufrieden sein läßt, egal wieweit seine Selbstmächtigkeit auch reicht. Das "wozu das alles?", das er sich dann oft stellt, zeigt, daß es dieser Selbstmächtigkeit noch an Sinn mangelt. Sie kann also gleichfalls nicht in sich ihre Begründung haben. 

Und hier kommt nun ein letzter festzustellender Trieb ins Spiel - der Trieb nach reflexivem seelischem Leben. Den über die Tauglichkeitsmachung hinaus, sei es um gewisse Selbstmacht zu gewinnen, sei es anderer Zwecke wegen, hat die Seele das Streben, aus all ihren praktischen Strebungen zu sich selbst zurück-, heimzukommen. Und nur darin liegt die Befriedigung dieses Strebens, in keinem äußeren Zweck. In dem einen stärker, in dem anderen schwächer, und manchmal ist er sogar verschüttet. Aber vieles am Menschen läßt sich erst unter dieser Hinsicht verstehen.

Dennoch weist Pfänder darauf hin, daß es ein gewisser Irrtum ist, der der Philosophie entspringt, daß das generelle Ziel des Menschen die Entfaltung solchen reflexiven Lebens sei. Er müsse zu sich zurückkommen. Viele praktische Zielungen sind nämlich keineswegs durchseelt von dem Antrieb, zu sich zurückzukommen. Z. B. wenn es darum geht, einem anderen Menschen Freude zu bereiten.

Es ist daher auch nicht für jede beliebige Seele selbstverständlich, von einem Trieb nach reflexivem Seelenleben erfüllt zu sein. Allerdings zeichnet sich speziell die menschliche Seele durch das Vorhandensein von reflexiven Regungen in ihr aus. Es wird also wohl im spezifischen Wesen der menschlichen Seele begründet liegen, daß sie nach reflexiven Seelenregungen strebt.

Um aber einsichtig zu erkennen, daß es so ist, daß also der Trieb nach reflexivem leben der menschlichen Seele selbstverständlich ist, wird erst das spezifische Wesen der menschlichen Seele zu klären sein. Und damit ist der entscheidende Punkt erreicht. An dem es zu sagen gilt, daß aus ihren Regungen und Trieben und Strebungen und Zielungen heraus die menschliche Seele alleine nicht verständlich wird. Und damit auch nicht das, was als menschliche Kultur bezeichnet werden kann. Es braucht einen diesem der Beobachtung zugängigen Seelenleben übersteigenden Sinn, der nicht alleine aus den Strebungen heraus erklärbar sein KANN, wie oben gezeigt wurde. Diesen Sinn kann man auch nicht erfinden, sich ausdenken, kreieren. Er muß schlichtweg gefunden werden.

Erst aus diesem heraus läßt sich dann der Mensch wirklich verstehen. Die fünf transitiven und fünf reflexiven Triebe, die oben vorgestellt wurden, dienen alle auf irgendeine Weise der Macht über äußere und innere Umstände. Sie drängen danach, sich außen und innen als tätig und wirkend zu erweisen. Sie verlangen die Vollbringung gewisser äußerer und innerer Leistungen. Sie streben danach, im Äußeren und im Inneren allerlei vermeintlich Wertvolles zu haben, und von allerlei vermeintlich Unwertvollem frei zu sein. Alle diese Triebe können nicht nur nacheinander, sondern auch gleichzeitig wirken, sich unterstützen, aber auch widersprechen. Und sie müssen keineswegs bewußt werden. Im Gegenteil, hierin unterliegen sie in ihren Verhältnissen der Möglichkeit zur Täuschung.  Gewisse Triebe, wie der Selbstwerttrieb, sind sogar besonders geeignet, solche Täuschungen zu effektuieren oder dazu zu verführen. Es ist also töricht zu sagen, man wisse schon selber am besten, aus welchen Trieben man dies oder jenes getan habe. Die Ausdeutung der Antriebe ist meist eine höchst schwierige Aufgabe.

Aber nicht einmal die Einwirkung des freitätigen Ich ist dazu nötig. Alle diese Triebe wirken auch ohne diese Mithilfe, sie sind Bestandteile des seelischen Selbstgetriebes, das unwillkürlich von selbst, oder in Reaktion auf äußere Einwirkungen entsteht und verläuft.

Doch kommen diese Einwirkungen des freitätigen Ich zu diesen Antrieben modifizierend DAZU. Dieses freie Einwirken ist aus den genannten Trieben selbst nicht mehr verständlich. Eine verstehen wollende Psychologie, die alles aus diesen Trieben also verstehen will, stößt hier an unübersteigbare Grenzen. 

Dabei zeigen die Triebe, die wie gezeigt in sich maßlos sind, daß sie in der Praxis sehr wohl ein Maß haben. Das auch nicht aus den äußeren Einwirkungen (der anderen Triebe zum Beispiel) erklärbar wird, selbst wenn es sich oft so erklären lassen würde. Darüber hinaus zeigt sich, daß ein Trieb oft sein Maß "in sich" zu haben scheint. Mit "Lust/Unlust" ist es nicht zu erklären, denn die Triebe streben keineswegs "direkt" Lust an, sondern ihre Ziele enthalten "vielleicht" Lust, bestehen um ihrer selbst willen. Sodaß immerhin die Möglichkeit besteht zu behaupten, daß nicht die Triebe der Lust wegen, sondern die Lust der Triebe wegen vorhanden ist. Eine hedonistische Erklärung ist also gar nicht wirklich möglich, nichts läßt sich aus ihr verstehen.

Auch einen "Werttrieb" anzunehmen führt nicht weiter. Denn selbstverständlich streben alle Triebe nur nach etwas, das ihnen "wertvoll" erscheint, all ihr Streben ist nur daraus zu verstehen. Der Wert der Ziele muß also der Strebung weniger vorausgehen, als alles wertvoll eben darin ist, WEIL und soweit es Strebungen überhaupt gibt. Güter haben ihren Wert in sich, als erstrebte, 8und durchaus sehr individuell verschieden, und nicht nur, weil sie Werte realisieren können. Es fehlt also das Warum solcher angenommener Werte.

Es fehlt, wie bereits angedeutet, ein letzter Sinn der seelischen Strebungen. Und der kann sich, wenn er selbstverständlich sein will und alle anderen Strebungen und Triebe im Maß beschränkt, in ihrem Wesen begründet liegt. Also daraus selbstverständlich ist, und alle anderen Triebe begründet. Sodaß alle Teiltriebe - transitiv oder reflexiv - davon durchwirkt sind, und erst wenn sie von diesem Sinn losgerissen sind, ihr Maß verlieren.

Es geht also um das Urziel der Seele bzw. des Seelenlebens. Erst aus einem solchen heraus können sich ihre Strebungen erklären und verstehen lassen. Nicht aber aus ihren Trieben selbst. Es muß einen Quell-, einen Urtrieb geben, der alle anderen zu einem Sinn zusammenfaßt.

Und der läßt sich tatsächlich finden. Im Urtrieb zur Selbstauszeugung.



7. Teil  nächste Woche) Der selbstverständliche Urtrieb der 
menschlichen Seele - Der Trieb zur Selbstauszeugung






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