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Dienstag, 5. März 2013

Hören und Sprechen als EIN Akt

Es bedeutet ein völliges Verkennen der Sprache zu meinen, es wäre ein einseitiger Akt, der "etwas bewirke". Vielmehr ist das "höre!", das jedem Sprechakt vorausgeht, eine Aufforderung, demselben Geist beizutreten, den der Sprechende mit seinen Worten zur Darstellung bringt. Ohne diesen vorausgehenden Gemeinschaftsakt ist jedes Sprechen sinnlos, und sein Effekt bestenfalls Gewalt. Kein Sprechen läßt sich erfassen, ohne sein zweites Bein, das Hören, zu betrachten.

Das was eint, muß jedem Sprechakt - selbst dem des bloßen Befehles, wie beim Militär - vorausgehen. Und man tritt diesem Einenden bei durch den Ort, den Stand, in dem man sich befindet, in den man eintritt.

Der Sprecher muß also selbst auf das hören, das durch ihn hindurchspricht. Er muß selbst gehorsam sein. Nur dann kann er gehört werden, nur dann sind Sprechender und Hörender eins. Für Heraklith ist es deshalb ein und derselbe Mißbrauch, Dinge auszusprechen, die nicht ausgesprochen werden sollen, wie Dinge zu sagen, deren Inhalte nicht in Kraft gesetzt sind.

So ist auch Gehorsam (beim Angesprochenen) nicht primär ein Akt des willentlichen Nachbiegens nach einem fremden Willen. Im "Anbrüllen" wird am klarsten deutlich, daß die Einheit nicht gegeben ist, das Äußere gewaltsam gebogen werden muß, weil es sich sonst nicht freiwillig und schöpferisch vollzieht. Gehorsam bedeutet Zugehörigkeit! Und aus dem Gehorsam, der Bindung schöpft erst das Sprachvermögen. Nicht aus dem Beherrschen von Sprachstrukturen.* Sprechen kommt deshalb aus dem Gelübde, im "Ver-sprechen" ist es noch erkennbar, aus der Verkörperung eines Geistes. Nur dort ist Sprache noch schöpferisch.**

Es ist der freiwillige Eintritt in jenen Geist, der mich mit dem Gegenüber eint, in dem wir beide uns einen. Damit wird die Bedeutung der Wahrheit erfaßbar, denn Einung kann es nur in der Wahrheit geben, die beiden Seiten zugängig ist, im Geist, auf den sich Sprache bezieht. Lüge bleibt im Sprechenden isoliert, mißbraucht bestenfalls den allen Menschen grundgelegten Einungswillen als Hörende, die sich selbst entfremdet werden. Und damit wird Sprache wirklich weltschöpferisch - oder -zerstörerisch, ja damit wird Wort zur Wirklichkeit selbst.

Zu verstehen bedeutet deshalb, die fleischliche Welthaftigkeit einem Gehörten, einem Geist gemäß zu übernehmen, im Hören gemeinsam zur Welt rufen. Selbst dort, wo der Hörende vorerst etwas "nicht versteht" - bleibt es in seinem Herzen, beläßt er es dort, "bewahrt" er es dort, wird er auch das ihm in seiner derzeitigen Weltgestalt Vorauswesende mit der Zeit verstehen.

Miß- oder Unverständnisse setzen also in Problemen der Identität, in ständischen Konfrontationen an. Deshalb gilt, daß ein Volk seine Einheit in dem Moment verliert, in dem seine traditionelle Standesordnung verloren geht. Und mit der Einheit verliert es seinen Bestand. Ab dem Moment, wo die Menschen aufhören, einander zu verstehen. Ab da wird ihre Sprache zum Kampfinstrument der Selbstrettung, als nicht mehr angenommene Gestalt zur Einheit. Sie wird leer und unschöpferisch, ja zufällig, allfällig hervorgerufene Gestalten werden zwanghafte und technische Notlösungen von Interessen.




*Das ist auch das tragische Mißverständnis in der Diskussion um Zuwanderer, die "erst die Sprache lernen sollen". Integrieren kann nur "Begeisterung" des zu Integrierenden, nur so kann es zur Vermählung in einem Volk - in seiner Form als Land, dann als Staat - kommen, im Eros als anwegende Kraft des Schöpferischen. Und Eros zeitigt Gesang. (Deshalb singt der balzende Vogel ... brauchen Frauen Sprache, Gesang; deshalb singt und dichtet der Liebende.) Denn Sprache ist geronnene Begeisterung, sie verewigt einen Geist.

**Die Amerikaner, die die Brüchigkeit ihrer Sprache viel deutlicher ahnen, binden den Beginn der Staatsbürgerschaft deshalb direkt an ein Gelübde. Und die Vereidigung einer Regierung hat genau denselben Sinn: Darstellung, unverbrüchliche Repräsentation des alle einenden Volksgeistes. Das Eheversprechen SCHAFFT die Ehe, als gemeinsame Gestalt, die zu realisieren zwei Menschen entschlossen sind. In dem Moment beginnt eine neue Weltgestalt beim Sprechenden, und das heißt auch untrennbar: Gestalt vor der Welt. Denn wirklich ist nur, was ein innen UND ein Außen hat. Niemand kann sich nur für sich binden, aber auch selbst lossprechen, schreibt selbst ein Agnostiker wie Derrida. Erst der Name macht den Menschen zum Träger - es gibt keinen "Menschen an sich", es gibt nur unter einen Namen zusammengefaßte, nein, damit geschaffene Eigenart. Wer den Menschen ihre Namen nimmt, nimmt ihnen deshalb ihr Sein. Alles was aber etwas ist, hat einen Namen, und dieser Name birgt (und schafft) nur Wirklichkeit, weil er auf ein GEGENSEIN bezogen ist, eben ein Außen, eine Gesellschaft, eine Umgebung etc. Eine Gesellschaft besteht nur aufgrund der Namen, die ihre Glieder und Ordnungen haben. Die Liebe in einer Ehe drängt nach Schöpferischem - und sie schafft sich deshalb etwas Neues: einen Namen, als Ziel, als Forderung, als Anspruch. Und dazu muß sie etwas überwinden, wie alles, was etwas sein will, aus der Welt etwas herausschlagen muß: als neue Gegenseitsvorstellung. Erst dadurch wird überhaupt etwas. Wenn also heute nicht geheiratet wird, so deshalb, weil niemand mehr den Preis der Dinge zahlen will, wie im Spiel, und deshalb keine Dinge mehr schafft. Aber zugleich jedem böse ist, der diese Illusion, zu der sich alle per Internet und iPad verabredet haben, stört.




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