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Dienstag, 2. April 2013

Geschichte ist unsichtbar (2)


2. Teil) Der Feiertagslose fällt in das Barbarentum - 
Samt einer Reihe von Fußnoten



Feiertage werden nicht gemessen, sondern sie sind es, nach denen sich der Lebenskreis, der sich im Jahr rundet, bemißt. Bis in die heutige Rechtsordnung hinein, von zahllosen Bräuchen abgesehen, findet sich dieses Jährlichkeit als die Ordnung des Lebens, den geschichtlichen Erdenkreis begründend. In ihnen findet sich das Einende, das die aus der jeweiligen Geschichte je individuelle Zeit (sic!)* zusammenhält und -führt. Darauf bezieht sich das Wort von der "Fülle der Zeiten" - Plural!

Der Mensch lebt in einer Reihe von Lebenskreisen, also auch in unterschiedlichen Zeitkreisen. 15-39 Jahre der gegenwärtigen Regierung, 150-500 Jahre als Epoche, 2000 Jahre der Zeitrechnung seit Christus, und der Zeitring des Menschlichen von Anbeginn an. Aber auch die zahllosen Kreise, lokal oder anderen Belangen zugehörig, wie Messetermine, Fasching (Fastnacht), Premieren, Hochzeiten, Kirmes oder Narzissenfest, oder was immer für Anlässe, die Zukunft begründet haben. Sein Gestalterisches liegt in der Spannung dieser Kreise zueinander, in die er durch neues Werk zuweilen neue Punkte setzt - ohne sie noch zu kennen.

Nur wer seine Vergangenheit - dem Stillstand der Zeit, die vor dem bloßen (physikalisch-begrifflichen) Verfließen bewahrt wird - ehrt, hat Zukunft. Und er hat Zukunft, im Maß seiner Vergangenheit.

Insoweit begehen wie begründen (!) Feiertage also das allen vorausliegende bzw. Gemeinsame, ein Gemeinsames, das bereits geschichtswirksam wurde durch dieses Geschehen, in dessen realen Spätfolgen wir stehen, und dessen Geschichtswirksamkeit eben unsere Gegenwart geformt hat und trägt. Nur das läßt sich feiern. Es gibt deshalb kein Volk ohne Feiertage, braut seinen eigenen Feiertrank - denn in diesen Festen feiert es seine (geschehene) Volkwerdung. Das Fest macht das Volk.** Erst von den Festen, dem Festrhythmus, bezieht der Einzelne seine innere Struktur, die ihn auch den Alltag einordnen läßt.*** Der Säugling durchläuft mittels des Festkreises des Jahres also die Erfahrungswelt der Erwachsenen, und diese wird ihm zum Bestandteil seines Selbst.****



*Aus diesem Grund gibt es sehr wohl regional unterschiedliche Kalender, bzw. soll oder muß sie geben, weil sonst die Freiheit der Zukunftsgestaltung verlorengeht. Aus ähnnlich gelagertem Grund muß sich auch staatlicher, weltlicher Feiertag vom kirchlichen unterscheiden. Fallen beide in eins, droht die bekannte Ineinssetzung von Welt und Himmel.


**Willkürliche Feiertage bleiben deshalb das Proprium des Diktatorischen. Während Feiertage wie der 1. Mai, der 10. November, oder Nationalfeiertage, daran erinnern, daß unsere heutige Umwelt eine gemachte ist, die auch verloren werden kann, wenn es nicht gelingt, ihren ursprünglichen Sinn lebendig zu halten. Denn dann hört er auf, Gegenwartskraft zu haben, und damit werden heutige Formen hohl und irgendwann auch abgelegt. Das gilt freilich für den 1. Mai nur bedingt, der (bewußt) an uralte, schon vorhomerische Frühjahrs-, Fruchtbarkeits-, Ehefeste anknüpft, Verschüttetes wieder aufgreift, ähnlich den Olympischen Spielen. Der (erst 1889 zum Proletarierfest umgedeutete) 1. Mai als in seinem Ursinn der Versöhnung der Lebenden - im Dienste des Lebens - muß deshalb in direktem Connex mit dem 1. (bzw. eigentlich: 2.) November, der Versöhnung mit den Toten, gesehen werden. DARAUF geht übrigens das heidnische Halloween zurück.

***In dem wild geführten Streit um die Festsetzung des Osterfestes in der alten Kirche kamen entscheidende Positionen zur Austragung: das Festhalten am historischen "Datum", das diese Wirklichkeit begründete, stand gegen einen dynamischen, an den realen Ablauf der Natur gekoppelten Lebensbegriff. Es ging also um die Frage, an welches reale Geschehen das historische, einmalige, die Wirklichkeit der Erlösung schaffende Ostergeschehen gekoppelt war - an den Kalender, oder an den Lauf des Jahreskreises, eingebettet in das kosmische Geschehen. Aus welchem Meinen heraus man Ostern an den Frühjahrsvollmond koppelte, worin man auch an die vorchristliche Religiosität anknüpfte, die man deshalb in einen Gesamtsinn einordnete, den Naturreligion oft sehr richtig ahnt bzw. um den sie weiß. (Aber Wissen ist noch nicht die Historizität des Heilsgeschehens selbst.) 

****Ein - wie heute oft anzutreffen - formloses Selbst eines Menschen gibt es nicht. Es ist immer in den Geschichtskreis seiner Umgebung nicht nur eingebunden, sondern daraus geformt. Gerade in der Ablehnung dieser Geformtheit. Feiertage "aus sich selbst heraus" gibt es also gar nicht, denn es fehlte ihnen das "Was", der Begriff, der erst den Sinn in die jeweilige Gegenwart trägt und geschichtlich macht. Feiertage in das subjektive "wie man sich ebne fühlt" hineinzutragen bedeutet also nicht, sie "ehrlicher" (und damit inhaltsvoller) zu machen, wie der Verfasser dieser Zeilen immer wieder gehört hat, sondern bedeutet, sie abzuschaffen, das Selbst auszulöschen. Das außerhalb eines "wir", einer sozialen Dimension, gar nicht existiert, und wenn es sich wie im Narzißmus dieses "Du" in innerer Spaltung selbst zu sein versucht (und dabei ins Nichts stürzt). Gesellschaften, die ihre Festkreise, ihre Jahresrhythmen aufgeben, nicht mehr gemeinschaftlich begehen, versinken deshalb unausbleiblich in einen Dämmerzustand. Und Kinder, die so (nicht) erzogen werden, und das ist heute häufig, sind zur Geschichtslosigkeit verdammt. Wer Feiertage gering achtet, oder gar abschafft, lehnt bzw. schafft sich damit selbst ab: er mißt die Zeit mit einem leeren Kopf. Daraus entstehen sie dann, die prähistorischen Rationalisten, die Utopisten, die Pazifisten, die Fanatiker als Phänomen der Zeit- und damit Ortslosigkeit.




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