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Freitag, 5. April 2013

Totenkult

Totempfahl - Grabstein - Tätowierung - Maske - Plastik - Heilige zur Ehre der Altäre gehoben = ein und dieselbe Wirklichkeit: Stimmhaft bleiben des stifenden Wortes, und damit des dahinterstehenden Geistes. Alle gehören zum totenkult, und dieser ist das erste stiftende Element des Hierseins des Menschen.

Als Übergriff ins Reich der Toten, denn nur aus ihnen stammt der Stamm (dem die Familie wiederum entspringt bzw. eingeordnet ist), die Zugehörigkeit, die Verortung. Nur von einer Verortung her kann ein Mensch überhaupt Mensch werden.

Man übersieht leicht, daß die Geschichte der Schrift eine Geschichte ihrer Verflüchtigung ist. Deshalb einer immer flacheren Präsenz mit der Forderung einer immer angestrengteren Erneuerung zur Präsenthaltung des Worte - im Internet, ja in "Google Glass" kaum noch zu überbieten - durch Häufigkeitkeit und Schallerhaltung (man beachte die heutige permanente Beschallung, die wir erleben), daß also dieser Schrift also in ihrem Ursprung (vom flüchtigen Wort her, mit dem Auswehen der Bedeutung der Erinnerung in der kultischen Gemeinschaft, deren Zentrum die Erzählung ist) sogar die ... Tätowierung vorausgeht. 

Nicht zufällig, und damit erst verstehbar, ist die Tätowierung lange Zeit ein Merkmal der Bodenlosen gewesen - der Seeleute, der Ent-Gesellschafteten, Ausgestoßenen, Entsozialisierten, Verbrecher, etc. 

Es ist also überhaupt kein Wunder, paßt wie der Schlüssel ins Schloß, daß wir heute diese Renaissance der Tätowierung erleben. Als leiblich präsenter Totenkult - der gleichfalls in den überkommenen Formen erlischt, und sei es in der Brandbestattung. Brandbestattung, aber überhaupt die Art des Totenkults, und Tätowierung (oder dauernde Körperbemalung, die in dieselbe Kategorie fällt, ebenso wie die Rolle der Maske*) sind also einander bedingende Phänomene. So, wie die Art der Feiern direkte Rückschlüsse auf den Totenkult liefert. Und sei es, daß ihre Ekstatik Verbindungen aufweist, wo Intensität (als kraftvollerer Versuch der Präsenzwirkung) die Wirkung der Dauer ersetzt.

In der Tätowierung der Gegenwart, vor allem wenn sie nur noch Ornamentik ist, scheinbar bloßes Dekor, spricht sich noch etwas aus - der Verlust der geistigen Wurzel. Man möchte Wurzeln, hat aber keine Überlieferung, keine Ahnen, an die man anknüpfen könnte.

Verschriftlichung hat also eine klar Dauer bewirkende Kraft, und sie ist somit dem Totenkult zuzuordnen. Daß die ersten Schriften oft in Leder eingeritzt wurden, hat exakt denselben Hintergrund.

Wo im Grabstein, im eingravierten Namen, im Heldendenkmal, die stiftende Tat, der Geist des Toten präsent bleiben soll. In den hinein sich die Menschen stellen, die damit konfrontiert werden: als Stellen unter einen Namen. Auch hier also die Zusammenhänge zwischen Tätowierung und der Rolle der ererbten Namen.

Die Weigerung der Frauen, den Namen des Mannes anzunehmen, wie heute schon alltäglich, ist also in Wahrheit die Angst, den Ort zu verlieren, der ihnen einst, kraft Geburt, zugewiesen wurde. Der Name begründet aber Zugehörigkeit, weil er die Geister der Toten lebendig hält, von denen man sich erfüllen läßt.** Und dennoch wählen sie nicht die Loslösung vom Untertanentum, das ist gar nicht möglich. Sie wählen nur ihren Stamm.

Es sind immer die Stimmen aus dem Totenreich gewesen, die unsere Gegenwart gestalten. Heute nicht weniger, denn früher.





*"Person" stammt von "personare", das Durchklingende, Begriff für Maske in der Antike. Aber damit ist nicht die technische Vorrichtung der Maske gemeint, sondern in der Maske klingt die Stimme der Toten weiter, und das ... ist die Grundlage unseres Personseins: als lebendiger, weiterlebender Schalle der Vorfahren. Deshalb sieht der Maskenträger oft nur den Boden unter seinen Füßen, bestenfalls durch den Sehschlitz einen kleinen Ausschnitt der Welt.

**Man hat es bei der Namenswahl des aktuellen Papstes sehr deutlich erfahren, wie sehr Name für ein Programm steht, für einen Geist - für den Geist ... eines Toten. Deshalb wird auch die heilige(nde) Handlung "im Namen Jesu Christi" vollzogen. Die Querverweise eines solcherartigen Namensverstehens sind fast unerschöpflich.





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