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Mittwoch, 24. April 2013

Zeugungsakt Sprechen

Es ist ein hartnäckiger Unsinn, schreibt Rosenstock-Huessy, die Sprache aus Sätzen wie "Es regnet" erklären zu wollen, quasi von unten nach oben. Kein Satz ist sinnvoll, wenn ihm nicht der Sinn vorausging. Sprechen heißt also: Das Suchen des beide - Angesprochenen wie Sprechenden - umspannenden Daches, ja das Stiften von personaler Gemeinschaft, in einem Übergeordneten. Es gibt kein Sprechen, das nicht ein Zeugungsakt wäre.

Hier ortet R-H vier Gebiete, als Koordinationkreuz der menschlichen Möglichkeiten: Die Wissenschaft mit der Information, die Kunst und Poesie als werbendes Spiel, die Religion in der Sühne und Schuldigkeit der Existenz, und das Herkommen als Sein im Spannungsfeld der Generationen, die den Namen, den Platz zuweisen, an dem man steht, und auf den sich das ganze Leben des Einzelnen in seiner Entfaltung sich bezieht.

Nur im Pulsieren zwischen diesen vier Polen bleibt der Mensch im Gleichgewicht, tut er das nicht wird er krank.

Es gibt deshalb kein Sprechen, das nicht der Akt der Zeugung einer gemeinsamen Zeit (und damit jenes Raumes, den wir Kultur nennen) wäre, der nicht das Leben unterschiedlicher Menschen einen würde. Sprechen ist die Vollmacht zwischen den Sätzen "Weil es regnet", "Daß es doch regnete", "Es hat geregnet", und "Tauet, Himmel, den Gerechten!" die jedem Einzelnen obliegt, deren Folge unvorhersehbar ist (und deshalb ein sehr bestimmtes, offenes Zuhören und Selbstbeziehen verlangt). Damit stiftet er Zeit, in der sich zwei, drei, und aus dem heraus mehr finden und in Einheit begegnen können. Und zwar: in der Wahrheit unseres Sprechens, das eine Wirklichkeit betrifft noch ehe ein Wort gesprochen wurde. Niemals in einem "als ob" (s. u. a. Vaihinger). 

Damit ist auch gesagt, daß unser Selbst durch Sprache gezeugt wird (s. u. a. Lacan, der das menschliche Selbst im Wort gegründet sieht): im Du des anderen erfahre ich ein Ich, im Namen seine Grenze und seinen Anspruch. Womit der Generationenzusammenhang deutlich wird. Denn der Nachfahre verdankt sich direkt seinen Vorfahren, die ihn benannten, und damit , ja noch zuvor, dem Stamm, der Gemeinschaft, die ihn umgibt und ihn in diesem Akt des Sprechens, des Ansprechens, adoptiert. Als vorgegebenes Spannungsfeld des Selbstseins*, das nur persönlich, in einem persönlichen Akt zu stiften möglich ist.




*Die Tragik, aber noch mehr Bösartigkeit einer Sichtweise, die den Menschen aus diesen Zusammenhängen "befreien" möchte, die den Kindern deshalb keinen Namen gibt (die Unsitte der Kosenamen hat ja direkt damit zu tun), sie "gleich macht" oder "selbst bestimmen" lassen möchte, ergibt sich zwangsläufig. Die angeblich heute auftretende Häufung von "Sonderbegabungen", auch das Aufkommen der Thematik der "Hochbegabungen", ist nichts als eine zynische Umdeutung seelischer Verkrüppelung, in der sich haltlose junge Menschen taumelnd und orientierungslos durch die Welt bewegen, die sie nicht einmal mehr im Ansatz gestalten, bestenfalls noch irgendwie bewältigen. Wobei man damit im selben Atemzug die Generation der Älteren, der Eltern, der Vorfahren, ins Nichts schleudert. Wird eine Jugend identitätslos, werden es auch die Eltern. Werden die Eltern identitäts- weil zusammenhanglos, wird es ein Stamm. Wird ein Stamm identitätslos, wird es ein Staat.





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