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Samstag, 25. Mai 2013

Das Heilige Experiment (1)

Durch zahllose Verbote und Gesetze hatten die spanischen (und portugiesischen) Könige versucht, die Landsleute in Südamerika dazu zu bringen, die vorgefundenen Bevölkerung menschlich zu behandeln. Aber Spanien war weit, und die Umsetzung der Gesetze scheiterte an der Gier und brutalen Ausbeitungsabsicht jener, die Europa nicht verlassen hatten, um die Welt zu christianisieren, der Erlösung zuzuführen, sondern die reich und mächtig werden wollten, ohne dafür zu arbeiten. Ausdrücklich waren Sklaverei und menschenunwürdige Behandlung verboten, und die Erlässe wurden sogar durch Todesurteile und Exkommunikation (durch den Papst) gestützt, aber ohne viel Erfolg.

Sämtliche Versuche, den riesigen neuen Kontinent, den dem Abendland entdeckt zu haben man sich im 16. Jhd. allmählich bewußt wurde, durch dem europäischen Lehenssystem (ein Gewährsmann des Königs übernimmt treuhänderisch Aufbau und Verwaltung eines Gebiets) ähnliche Gebilde zu organisieren mündeten in der nicht zu kontrollierenden Praxis neue Instrumente der brutalen Unterdrückung. Denn welche Europäer verließen den Kontinent? Die Abenteurer, die Gierigen, die Wurzellosen, denen das Leben in Europa zu mühsam war, die Nervenkitzel und Reichtum suchten. In einem Europa, in dem der Adel ja bereits sinnlos wurde, weil Beamtenmechanismen ihn verdrängten.

So wurde für die Indios Christianisierung zu einem Synonym für Unterdrückung und Sklaverei. Schon die Vorstellung eines Paradieses, in dem sie mit eben diesen Spaniern und Portugiesen neuerlich und auf ewig zusammengesperrt sein würden - Sklaverei für immer! -, war ihnen ein Greuel, welche Perspektive sie nicht selten den Freitod einer Taufe vorziehen ließ. Eine Christianisierung war so gut wie aussichtslos.

Den Orden, die den Kontinent (mit nur wenigen Priestern) christianisieren, den Menschen die Freiheit des Christen bringen wollten, war dies wohl bewußt. Ihre Bemühungen mußten scheitern. Was die Indios erfuhren, hatte mit Christentum nichts zu tun. Und die Erlässe der Könige, die immer wieder menschengerechte Behandlung der Einwohner der Neuen Länder verlangten, waren nicht durchzusetzen.

Also schlugen die Jesuiten einen Versuch vor: Man mußte die Identifikation von Christentum mit Europäern verhindern. Man mußte die Indios für sich lassen, und an der natürlichen Religiosität ansetzen, um von dort aus die Liebe Christi begreifbar zu machen. Als vollkommene räumliche Trennung von Kolonisten und Indianern hieß das auch für die zweifellos gut meinenden, verantwortungsbewußten Könige ein großes Wagnis eingehen: das Land konnte genau so gut erst recht in Chaos versinken. Schließlich stimmte aber die Krone zu.

Das "Heilige Experiment" der Jesuiten in der (als damalige Provinz flächenmäßig weit größer als der heutige Staat) Paraguay konnte beginnen. Nie als Staat konzipiert, sondern als Konzept des Kulturaufbaus, der Verbreitung der Liebe Christi. Der (spanische) Habsburger Philipp III. räumte das Gebiet vom Ober- und Mittellauf der Flüsse Paraná und Uruguay ein, dem Gebiet der Guarani-Stämme, streng separiert von der Welt der Weißen, ausschließlich dem missionarischen Einfluß der Jesuitenpatres ausgesetzt. Das sonst am Kontinent eingeführte Kommendensystem wurde dort für ungültig erklärt, in dem - ähnlich dem strukturellen Aufbau der europäischen Kultur seit je - eingesetzte Landherren ein gewisses Gebiet verwalten und ordnen sollten. Nominell und ausdrücklich mit Verbot von Sklaverei und unbezahlter, unfreiwilliger Arbeit. Das aber in der Praxis zu rücksichtsloser, brutaler Ausbeutung geführt hatte. 

Von 1607 an, in immer weiteren Erlässen und Ausführungen weiter ausgeführt und gestützt, wurden sämtliche Indianer dieser Gebiete von allen "servicio personals", von allen Tributen und Arbeitsleistungen* befreit, alle diese Pflichten reduziert. Mit diesen "Reducciones", diesen aus dem Allgemeinsystem herausgelösten Dörfern und Gebieten, wie mit allen Versuchen, die brutale Gier der Kolonialisten einzuschränken, zog sich die Krone aber auch jenen Haß der Siedler zu, der später den vielleicht entscheidenden Auslöser für die Unabhängigkeitsbestrebungen der südamerikanischen Länder liefern sollte. Die wie in den USA ja alles andere als "Volksbewegungen" waren, wie eben so gut wie alle "Revolutionen", sondern von so gut wie immer wirtschaftlichen Einzelinteressen getrieben werden. Aber das ist eine andere Geschichte.




*Es stellte sich sofort heraus, daß die Indianer Südamerikas für schwere Arbeit völlig ungeeignet waren. Ausdrücklich war deshalb z. B. Bergwerksarbeit für sie per königlichem Erlaß verboten, denn sie war ihnen wie der sichere Tod. Mit schweren Folgen, denn die "mehr an Sklaverei gewöhnten" Afrikaner ersetzten sie bald. An deren Handel die Niederländer und Engländer und wie erst die Araber bestens verdienten.



Teil 2 morgen) Keine kommunistische Utopie, sondern Höherführung




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